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Die Allee

Wenn ich einmal durch diesen Tunnel gehe, dann soll er so sein wie diese Allee. Die Kronen der Baumreihen schließen sich über mir, Licht fließt durch das Laub, auf den Feldern liegt dicker Wildkräuterflaum. Es riecht wie nach einem Regenschauer.

Wenn ich durch diese Allee gehe, sind auch andere Menschen unterwegs: zu Fuß oder mit dem Rad machen sie sich auf den Heimweg nach einem langen Tag. Ich bin nicht allein, und das ist gut. Weiter vorne, am Ende der Allee, wird es hell. Vielleicht wartet dort jemand, doch das ist nicht wichtig. Ich setze einen Schritt vor den andern, höre die Vögel singen, es ist ein warmer Tag.

So träume ich manchmal, wenn ich auf dem Weg von der Arbeit nach Hause durch diese lange Allee radle. An ihrem Ende befindet sich ein kleiner Friedhof. Neulich standen wieder Menschen an einem offenen Grab, die Sonne schien ihnen auf die Schultern.

 

 

Nackenfrei

Am Bahnhof steht eine kleine Gruppe junger Leute locker um einen Rollstuhl herum. In ihm sitzt ein etwa 14jähriger Junge, sein Kopf ist weit zur Seite verrenkt und der Nacken glänzt weich, glatt und weiß in der Sonne. Am liebsten würde ich drüber streicheln, wie ich unzählige Male über die Nacken meiner Kinder gestreichelt habe. Jetzt entdeckt der Junge einen Hebel an seinem Rollstuhl und beginnt, vor und zurückzufahren, vor und zurück, auf die Straße zu. Ein junger Mann tritt hinter ihn und hält den Rollstuhl fest, sagt etwas.

Der Junge beugt den Kopf jetzt noch tiefer, ein Mädchen fasst ihn unter dem Kinn und hebt sein Gesicht nach oben. Ich starre immer noch auf diesen Nacken, der so angreifbar ist. Der Mensch braucht einen andern, der hinter ihm steht, der ihn aufrichtet, wenn er es braucht. Aber das gilt natürlich nicht nur für Menschen mit Behinderungen.

Das Mädchen hält dem Jungen jetzt ihr Handy vor die Nase und zeigt auf das Display. Er lacht, ein kehliges, kindliches Lachen, er hört gar nicht mehr auf damit, bis sein ganzer Körper zittert. Die andern lachen mit. Vielleicht hat der Junge ziemliches Glück.