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Ich bin ein Hauptkerle

Ich klappe die Zeitung zu, als ich sie fertig gelesen habe und applaudiere mir selbst. „Gut gemacht,“ rede ich mir zu, „ich habe die Nachrichten gelesen.“ Mir wurde nämlich geraten, meine unerreichbare Messlatte herunterzuschrauben und erreichbare Ziele zu setzen. Mühelos erreichbare. Mich zu behandeln wie ein Kind, das ermutigt werden will, gefördert, gehätschelt, dem man etwas mitgeben will, was in psychologischen Ratgebern als „Selbstwert“ herumgeistert.

Nun denn: Ich habe die Zeitung gelesen. Ich habe beim Frühstück nicht ständig auf die Uhr gesehen, ich habe nicht überlegt, was ich gleich alles erledigen will und ich bin nicht aufgesprungen. Es ist ja weniger die Gesellschaft, die mich im Visier hat. Ich bin es selbst. Anerkennung ist ganz einfach, wenn Erwartungen die Größe eines Taubeneis haben.

Ich werfe die Zeitung in den Müll, wasche meine Tasse ab und habe am frühen Morgen schon etwas geleistet. Gut fühlt es sich an. Hoffentlich gewöhn ich mich nicht dran. Ha! Reingefallen. Genau darum geht es doch. Wie isst man einen Elefanten? In kleinen Stücken.

Wer wird denn gleich in die Luft gehen!

Bis zu 90 % aller Berufstätigen gehen morgens mit dickem Hals zur Arbeit. Nicht weil sie erkältet sind, sondern weil sie sich verschlucken beim Gedanken an den Tag. Für all jene, die von einer besseren Stelle träumen, hat der Buchmarkt gerade das passende Werk ausgespuckt. Die Autoren von „Warum es egal ist, für wen Sie arbeiten“ stellen klar: Beim nächsten Job wird alles gleich. Krümel gibt’s in jedem Bett, ändern kann man meist nur sich selbst und wie man die Dinge sieht.

Dazu fällt mir mein Nachbar ein. Er und alle Mitarbeiter in seiner Abteilung leben in Angst vor dem aufbrausenden und ungerechten Chef. Keiner geht gerne zur Arbeit. Was können sie ändern an sich oder ihren Sichtweisen? Den Abteilungsleiter, der mit seinen Ausbrüchen jeden als Deppen dastehen lässt, mit „nobody’s perfect“ abhaken? Der weinenden Kollegin zu realistischeren Erwartungen raten?  Eine sichere Stelle hat der Nachbar zwar in dieser Firma, auch nette Kollegen und Spaß an der Arbeit an sich. Nur diesem Vorgesetzten wollte er am liebsten ins Gesicht springen, mit den Fußballen voraus. Warum er es doch nicht tat? Weil er sich mit dem Schlamassel auseinandersetzte anstatt zu plärren.

Zunächst erkannte er, wie wenig es hilft, von allen geliebt zu werden. Möglicherweise ist es das, was Choleriker spüren, jagen und ausweiden. Sich hinstellen, Mut zeigen und den eigenen Standpunkt vertreten – dafür wird man nicht von jedem geliebt, von den Meisten aber respektiert. Auch von Hitzköpfen.

Zweiter Schritt: Selbstbewusstsein auf Vordermann bringen. Erkennen, wo man gut ist und es sich so lange vorsagen, bis es tief drinnen angekommen ist und nie wieder heraus will. Gelassenheit üben hilft auch, doch entwickelt es sich oft von selbst, wenn man den tollen Kerl in sich erst kennengelernt hat.

Danach lernte er, Ungerechtigkeiten nicht persönlich zu nehmen. Jähzornige Menschen suchen in ihrem Unmut Fußabstreifer, und wen sie erwischen, der kriegt es ab. Mit einem selbst hat das nichts zu tun, es könnte jeder andere sein, der in solchen Momenten genau dieselben Watschen bekäme.

Hilfreich ist auch Mitgefühl. Sie haben es ja nicht leicht, die HB-Männchen und -Weibchen. Welche Energie braucht es wohl für die täglichen Koller, und erst recht für die schwierigen Beziehungen in ihrem Leben, wenn es überhaupt welche gibt. Dabei versteckt sich unter dem explosiven Schutzmantel meist doch nur ein Würstchen, das Angst hat entdeckt zu werden.

Abschließend schärfte mein Nachbar seinen sarkastischen Blick auf den Arbeitsalltag, denn er wollte auch Spaß. Die Besprechungen im obersten Stock wurden zum Kabarett. Er beobachtete den Bauch des Chefs, der vibriert, wenn er nicht nachgibt.  Kleine Bemerkungen setzte er ein wie Nadelstiche, um sein Opfer beim programmierten Hochsprung zu erleben. Das falsch ausgesprochene Fremdwort überbrachte er zur Unterhaltung aller umgehend an die Belegschaft.

Wenn mein Nachbar heute zur Arbeit geht, hält er das Kinn nach oben. Und wenn er abends Aktuelles aus dem Büro vermeldet, lacht er sich schlapp. Zum Beispiel über das rosa gemusterte Hemd neulich. Seiner Frau sei wohl längst egal, wie die rollende Schweinebacke, mit der sie verheiratet ist, morgens das Haus verlässt. Das klingt böse, ist es auch. Für meinen Nachbarn ist es Therapie. Er gehört jetzt zu den 10% der Beschäftigten, die zur Arbeit gehen ohne Schmerz.

„Warum es egal ist, für wen Sie arbeiten“

Stimmig

„Diese Zahlen habe ich nicht berücksichtigt“, sagt Herr Bauer dünn und erschrickt. Er kann es nicht ausstehen, wenn er klingt wie eben. Voll und aus der Brust heraus soll seine Stimme tönen, die Stimme eines Menschen, der das Leben beherrscht. Stattdessen: Wie ein Vögelchen mit Angst vor dem Fuchs piepste es aus seiner Kehle. So bin ich doch nicht, rätselt er. Warum klinge ich manchmal so, beim Chef vor allem, wo ich es am wenigsten will?

„Was soll das heißen, Sie haben die Zahlen nicht berücksichtigt? Wie oft soll ich es noch sagen: Alle Zahlen gehören in diese Liste, auch diese. Ist das so schwer zu verstehen?“ Der Drache wetzt seine Krallen.

Herr Bauer strengt sich an, furchtlos zu klingen. „Ich sehe diese Liste zum ersten Mal. Warum haben Sie sie mir nicht früher gegeben?“ Na also. Schon besser. Es ist nicht schwer, ein bisschen lauter zu sprechen. Er drückt sich hier nicht in dunklen Gassen herum. Man darf ihn hören.
„Sie hätten ja mal danach fragen können!“

Ich kieg es hin, nahm Herr Bauer sich vor, und forsch erwiderte er: „Wonach hätte ich fragen können, wenn ich nicht weiß, dass es diese Zahlen gibt.“ Na bitte, so hört es sich anders an. Er darf es nur nicht vergessen. Immer wird er jetzt aufpassen und daran denken, dass er jemand ist. Dass er einen Platz hat. Und dass man ihn hören darf.

„Dann wissen Sie es eben beim nächsten Mal.“

Bestimmt.

Die zwei Seelen des Herrn Bauer

Wie der Michelinmann auf dem Dach einer Tankstelle bläht sich der Direktor vor einem Schaubild. Er trägt Details vor über die neuen Bohrmaschinen, wortreich und mit ausladenden Gesten betet er die Besonderheiten einer neuen Produktreihe herunter. Auf Zahlen und Zeichnungen deutend beendet er seine Ausführungen und mustert die Teilnehmer der Schulung. Krumm hockt Herr Bauer da und macht sich klein.

„Sitz grade“, schreit in der Tiefe seines Bewusstseins der Vater. Herr Bauer spürt die Faust, die ihm in den Rücken boxt,  seine Kinderhände klammern sich an der Tischplatte fest. Mit zusammengepressten Lippen starrt er auf den Teller vor ihm und hofft,  er werde davonkommen mit dem einen Schlag.

„Herr Bauer, haben Sie auch mal etwas zu sagen?“ Er schreckt aus seinen Erinnerungen, entdeckt an der Tafel die neue Überschrift: Verkaufsargumente. Gehorsam quält eine Anmerkung sich räuspernd vor die Runde. Man ist nicht zufrieden mit ihm. Nicht energisch genug sei er, nicht präsent genug. Vielleicht einfach nicht laut genug.

Noch eine Stunde bis Feierabend. Der Gedanke belebt ihn, denn auf dem Nachhauseweg wächst Herr Bauer. Groß geworden, mit hungrigem Herzen öffnet er Abend für Abend die Wohnungstür, Iris ist meistens schon da. Sie duftet wie ein Blumenstrauß und er liebt es, an ihr zu schnuppern. Wenn er sich zum Begrüßungskuss niederbeugt, streicht sie mit leichter Hand über seinen Rücken. Voll Wärme und Leben bereiten sie dann ihr Abendbrot.

Herr Bauer richtet sich auf. Er ist Teilnehmer einer Schulung und wie alle andern darf er sich äußern. Immerzu darf er sich äußern, erkennt er, und mit fester Stimme stellt er zu den Bohrmaschinen eine Frage. Er will wissen, was nun passiert. Das Ergebnis: Herr Bauer erhält eine Antwort. Eine normale, hilfreiche Antwort.

Zum Thema Selbstwert

Ein Erfolgstrainer begann sein Seminar damit, dass er einen 50 EURO-Schein hochhielt und die Teilnehmer fragte: „Wer möchte 50 EURO haben?“. Fast alle Teilnehmer hoben die Hand.

Er knüllte den Schein zu einer Kugel zusammen und fragte wieder: „Wer möchte immer noch die 50 EURO?“ Und wieder meldeten sich fast alle.

Nun ließ er den zusammengeknüllten Schein auf den Boden fallen und trat mit den Füßen ein paar Mal auf ihn. Er hob den schmutzigen und zerknitterten Schein auf und fragte: „Und wer will jetzt immer noch die 50 EURO?“ Und wieder meldeten sich fast alle Teilnehmer.

Schließlich hatte der Schein ja seinen Wert behalten, auch wenn er vielleicht etwas unansehnlich geworden war.

Quelle: www.palverlag.de