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Glückspilz

Auf dem Sofa in unserem Empfangsbereich sitzen zwei Kursteilnehmer: ein  großer, kräftig gebauter Mann aus Afrika, und eine magere Frau um die Vierzig mit asiatischen Gesichtszügen. Sie unterhalten sich leise. Da es ansonsten still ist, höre ich vom Schreibtisch aus unfreiwillig zu. Der Mann sagt:

„Wie geht es hoidde?“
„Guut,“, zirpt sie mit hoher, gepresster Stimme und verbeugt sich leicht. Dann – mit dem Blick geradeaus, ohne sich umzuwenden:
„Wie | geht | es | Ihnen?“ Sie reiht die Worte aneinander wie Bausteine.
„Ooooh, gudd,“ sagt der Mann mit strahlender Stimme. „Viel Lerne.“
Klein und schmal sitzt die Frau da, sie erwidert nichts.
„Deine family in Doischland?“ fragt der Mann weiter.
„Ja,“ sagt sie nach kurzem Zögern, „mein | Mann.“
„Kinder? Hassdu Kinder?“ Ihre Schultern ziehen sich zusammen.
„Swei“, wispert sie.
„Ooooh,“ sagt er, „welke … aahmmm, year?“ Sie schaut ihn an und sagt nichts. Er streckt die Finger hoch, zählt ab. Da versteht sie.
„Swölf, und noin“, haucht sie.
„Kinder in Doischland?“ fragt der Mann. Sie nimmt sich Zeit, sucht nach Bausteinen. Dann:
„Meine | Kinder | sind | tot.“
„ooooh …“

Ich weiß nicht, woran die Kinder dieser Frau gestorben sind und warum sie ihre Heimat verlassen hat. Ich weiß nur, dass meine Kinder leben, und zwar in einem sicheren Land. Ich Glückspilz.

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Es gibt keine Sicherheit

Wir kennen die üblichen Bedrohungen: Infektionen, Rückenleiden, Herzinfarkt – die Medien sind voll davon. Doch wenig Fett und viel Bewegung (auch darüber liest man viel) bewahren uns davor – wir können uns schützen.

Anders sieht es bei Opfern von Straftaten aus. In der Öffentlichkeit wird weit weniger beleuchtet, was gegen Räuber und Gewaltverbrecher zu tun ist und  man sucht vergeblich nach Ratgebern wie „7 Tricks zum Schutz vor Mördern“. Allerdings ist die Gefahr, durch ein Messer oder Bombenattentat ums Leben zu kommen auch weitaus geringer. Viel häufiger sterben wir an Krebs oder bei einem Unfall, aber trotzdem rauchen wir weiter, trinken Alkohol, fahren jeden Tag Auto und gelegentlich Ski. Es gibt ja genug Menschen, denen es auch nicht schadet – wir können uns beruhigen.

Nur beim Verbrechen funktioniert diese Beschwichtigungsstrategie nicht, denn: es tritt am wenigsten häufig ein. Deshalb haben wir am meisten Angst davor, denn wir sind nicht daran gewöhnt.

„Kein Mensch darf sagen: Solches trifft mich nie.“
(Menander, griechischer Dichter, 342 – 291 v. Chr.)

Wir leben in einem der sichersten Länder, und doch ist auch bei uns jeder Tag unberechenbar.  Sicherheit ist eine Illusion, und so war es schon immer. Schicksalsschläge gehören nicht erst seit den Terrorangriffen zum Leben. Gegen die Angst davor hat früher Beten geholfen, aber das ist aus der Mode gekommen. In der modernen Zeit wird mit der Angst Geschäfte gemacht, und sie laufen gut – wir sollten uns nicht davon kirre machen lassen!

 

Vergesst es nie.

Jüdisches Mahnmal

In keiner anderen deutschen Stadt gibt es mehr Mahnungen als hier. Denkmäler, Schautafeln, Kunst auf der Straße oder in eigens dafür geschaffenen Arealen bis hin zu Plakaten in U-Bahn- und S-Bahnstationen lassen nicht locker: „Vergesst es nie.“ Ich finde Stolpersteine vor Häusern, in denen Menschen gelebt haben, bevor sie fortgebracht, gequält und umgebracht wurden. An jeder Ecke begegnet mir diese Vergangenheit, und ich hasse sie.

Man hilft sich so gern mit der Bezeichnung „Nazis“. Als wären es dann andere Menschen, eine andere Nation. Es waren aber Deutsche. Nicht Türken, nicht Russen, nicht Nigerianer und Pakistani auch nicht. Deutsche. Meine Vorfahren. Meine Mentalität. Ich betrachte Skulpturen aus Bronze und es entstehen Bilder von fehlgesteuerten Menschen, stumpfer Gefolgschaft, Terror, Blicke aus den Augen zerstörter Menschen, jüdische, behinderte, homosexuelle, Sinti, Roma. Es tut mir so Leid. Es war so entsetzlich falsch. Doch damit ist es nicht erledigt, es müssen Taten folgen. Einwanderer möchten willkommen geheißen, Moscheen und Synagogen gebaut, ein freies Leben mit Perspektiven ermöglicht werden. Für alle. Und was finden wir? Eine immer dichter werdende Überwachung zum Beispiel. So hat die Gestapo auch begonnen. Und in Berlin? Da finden wir Sicherheitsleute vor jeder jüdischen Einrichtung:

Jüdische Synagoge

Die Neue Synagoge, vor dem Gebäude gehen zwei Sicherheitsleute auf und ab. Ich frage einen von ihnen, ob ein besonderes Ereignis ansteht. Er er sagt, das Gebäude wird immer bewacht. Rund um die Uhr. Zum Schutz vor Schmierereien, Vandalismus, Neonazis.

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Jüdisches Cafe
Ein jüdisches Cafe. Sicherheitsleute auch hier.

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Jüdisches Gymnasium

Ein jüdisches Gymnasium. Mit meterhohen Zäunen und Mauern. Was man auf dem Bild nicht sieht, sind die Überwachungskameras.

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Möchtet ihr so leben? Möchtet ihr bewaffnete Männer zum Schutz, wenn ihr in ein Cafe geht oder zur Kirche? Wenn ich so etwas sehe, möchte ich nicht mehr deutsch sein.

Wer online ist, ist nicht in Gefahr!

Facebook ist gut für Mütter. Jedenfalls wenn ihre Kinder alt genug sind, sich im Internet zu bewegen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass Tochter oder Sohn ein Facebook-Profil angelegt hat, ist hoch. Der Vorteil für die Mutter: Auch sie kann dort ein Profil anlegen oder sie kennt einen, der ein Profil besitzt, und dann – sieht sie, wenn ihr Kind online ist. Nicht dass es um’s Chatten geht. Man erfährt doch nie, was man wissen will, schon gar nicht vom eigenen Kind. Aber dessen Namen taucht rechts unten in der Bildschirmecke auf wie die richtige Antwort auf eine Frage, und dahinter steht in Klammern: „Bin am Leben“. „Bin nicht im Krankenhaus“. „Bin nicht verloren gegangen.“ „Bin bereit zum Chatten.“ „Mir geht’s gut.“ Diese Zusätze sind geheime Botschaften, nur für Mütter lesbar. Sie sind aber wichtig, wenn ein Kind sich aufgemacht hat, die Welt zu erkunden und darüber wenig Einblick gewährt. Da! Jetzt ist sie, jetzt ist er online. Mehr braucht es manchmal nicht.