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Bemerkenswert

Wenn sich Menschen auf arabisch unterhalten, klingt es wie ein nicht enden wollendes „Achmad war am Hallabad“ oder so. Die Tonation ist nicht elegant wie im Französischen oder vornehm wie im Britischen, sondern forsch. Die Sprache wirkt mitunter fast aggressiv und irgendwie breit – als müssten einzelne Worte aus dem hinteren Rachen hervorgewürgt werden.

In den Unterrichtspausen unserer Sprachkurs-Teilnehmer aus Syrien klingt es deshalb im Aufenthaltsraum, als wären sehr viele Achmads in sehr vielen Hallabads unterwegs.

Am meisten erstaunen mich aber nicht die fremden Sprachklänge, sondern die Frauen. Man hat ja dieses Bild der Muslimin, die einige Meter hinter dem Mann geht und in Demut den Kopf neigt. Das kann ich nicht bestätigen. Die Frauen sitzen hier aufrecht zwischen den Männern und debattieren, lachen, eifern. Wie kam ich denn auf dieses Klischee?

Sprachstörungen

Ich habe mir eine Kompaktkamera gekauft. Mit der kann man nicht nur Bilder machen, sondern natürlich auch filmen, und mein erster Film war eine Dokumentation über „Drehmoos„. Manche kennen ihn schon. Den zweiten habe ich gerade erst entdeckt, eine versehentlich gestartete Aufnahme durch das Herumfummeln mit all den Knöpfen. Der Film zeigt viel Himmel, eine Dachrinne, zwei Hauptdarsteller: ein nackter Rücken, zwei schräg ins Bild gehaltene Köpfe (der geliebte Brite und ich), des Weiteren Teile eines Balkonkastens und die minutenlange Makroaufnahme meines schwarzen Rocks. Beeindruckend ist eigentlich nur der Tonmitschnitt. Zwei Menschen unterhalten sich auf Englisch, und als ich das hörte, gruselte es mich. Dafür gibt es drei Gründe, ich beginne mit dem Harmlosesten:

1. Die Stimme klingt natürlich immer anders, wenn man sich selbst hört, aber ich habe zwei Stimmen. Sie klingt völlig unterschiedlich, je nachdem ob ich deutsch oder englisch spreche. Die englische gefällt mir besser, aber ich hätte sie nicht als meine erkannt, wenn man sie mir vorgespielt hätte.

2. Viel schlimmer: Selbst im Englischen habe ich einen schwäbischen Akzent! Von wegen, wenigstens in der Fremdsprache klinge ich wie alle andern – diese Illusion zerbarst heute in Sekunden, und ich fasse es immer noch nicht: I schwätz Schwänglisch …

3. Das bereitet mir am meisten Kopfzerbrechen: Ich hab überhaupt nicht verstanden, worüber ich geredet habe. Mein unverständliches Gebrabbel erschloss sich erst, als ich mehrmals nachgehört und mich vage erinnert hatte, worum es eigentlich ging. Ich glaube, ich hatte den Briten angemaunzt, weil er eine Balkonpflanze enttopft und einfach stehengelassen hatte. Ganz sicher bin ich mir aber nicht.

Wie kann das sein? Wieso verstehe ich mich selbst nicht? Verstehen mich denn die andern? Versteht mich irgendwer?

Wer sind wir

Das Wesen eines Menschen besteht nicht nur aus Genen, Elternhaus, prägenden Begegnungen und Erfahrungen. Es besteht auch aus der Art, wie er sich verständlich machen kann. Wenn es bei Hirntraumas zum Beispiel an der falschen Stelle blutet, wird der Patient praktisch mundtot gemacht. Er kann dann nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr sprechen. Was macht das mit jemandem, der bis dahin laut und redegewandt seine Meinung vertrat und mit Nachdruck seinen Willen einforderte?

Man liest gelegentlich von vollständig gelähmten Menschen, die allein mit der Bewegung ihrer Augen kommunizieren und sogar Bücher schreiben. Nach Schlaganfällen funktioniert das aber nicht. Es kommen nämlich nicht mehr die Worte, die man meint, sondern andere. Auch beim Aufschreiben. Regelmäßig stand ich im Supermarkt mit der Einkaufsliste meiner Mutter und rätselte, was sie meinen könnte. Als ich neulich die Dateien auf ihrem Computer gesichert habe, fand ich ein Worddokument mit einem Geburtstagsgruß, den sie einem Bekannten schreiben wollte. Herzliche Herzwünsche zum Geburtsburg.

Seit Jahren fällt ihr das Sprechen schwer, Wörter kommen oft falsch oder gar nicht. Gleichzeitig schien meine Mutter weicher, gelassener, nachgiebiger geworden zu sein. So war sie vor dem Schlaganfall nicht, und vielleicht war sie es auch nachher nicht. Vielleicht war es ihr nur zu mühsam geworden, Einwände zu artikulieren. Nun müssen die andern selbst entdecken, was gerade gemeint, gewünscht, gefragt sein könnte. Vielleicht ist das, was man dabei interpretiert irgendwann das, was diesen Menschen ausmacht. Da fragt man sich, wer wir eigentlich sind.

Von Fall zu Fall

Der Liebste kann allein nicht Fernsehgucken. Das ist ein Problem, weil bei uns die das Zeitalter der Fernsehkrimis angebrochen ist. Seit er nämlich weiß, welche Sender wir empfangen und was detective story auf Deutsch heißt, entdeckt er im TV-Heft jeden Abend eine andere Folge. Manchmal auch zwei.

Ich würd ja lieber lesen, „Melnitz“ von Charles Lewnisky, eine Geschichte zum Hineinsinken: Anderes Leben, andere Zeit, ich kann nicht genug bekommen davon und freue mich jeden Tag auf den Sofa-Abend mit dem Buch.

Aber der Liebste braucht mich beim Fernsehen. Sein Deutsch ist nicht gut genug, um der oft verhedderten Krimi-Handlung folgen zu können, deshalb schauen wir zusammen Tatort, Lewis, die Kommissarin, Inspector Barneby, Luther und diverse schwedische Krimis an. Ich übersetze ihm dann ein paar Pfeiler, an denen er sich entlangtasten kann.

Leider bekomme ich so nicht mehr alles mit. Am Ende kann ich manchmal nicht sagen, woher die wissen, wer der Mörder ist. Dann kratzen wir uns am Kopf, nippen am Gläschen Wein und rätseln, wie es sein könnte. Stellen Vermutungen an, spielen Szenarien durch, konstruieren unseren eigenen Fall. Auch eine Art, den Abend zu verbringen.

Les ich halt später.

Babylon

In einem englischen Pub vor kurzem: „Would you like a dessert?“ Das beruhigte mich. Einige Tage zuvor hatte das Mädchen nämlich dasselbe gefragt nach dem Essen, und meine Antwort war gewesen: „No, thank you“. Danach hatte sie auf das leere Schüsselchen neben mir gezeigt, an das sie nicht heranreichen konnte, und das beunruhigte mich. Hatte ich sie missverstanden? Bat sie mich um das Schüsselchen und ich antwortete mit: „No, thank you“?

Im Irish Pub gestern abend: Es diskutierten ein Engländer, der ein bisschen Deutsch kann, ein Italiener, der ein bisschen Englisch kann, ein weiterer Italiener, der ein bisschen deutsch kann, eine Deutsche, die fließend italienisch kann und englisch, ihr Mann, der ein bisschen englisch kann und fließend italienisch, sowie ich, die fließend englisch kann.

Jemand muss uns was in den Wein getan haben, denn später redete ich englisch mit dem Italiener, der kein Englisch kann und deutsch mit seinem Freund, der kein Deutsch kann. Die Deutsche sprach mich auf Italienisch an und der Engländer gestikulierte, als wären wir alle taub.

„Laß die Sprache dir sein, was der Körper der Liebenden: Er nur ist’s, der die Wesen trennt und der die Wesen vereint.“
(Friedrich von Schiller)

Lebendiges Deutsch

„Aa swei bitte.“
„Aa swei, ja.“

So klingt es, wenn im Asia-Imbiss ein Engländer bei einer Chinesin das Gericht A 2 bestellt. Wir sind gerade fertig mit ein paar Besorgungen und bringen Taschen und Kälte in den kleinen Gastraum. Hinter dem vollgestellten Tresen steht ein Mädchen mit pechschwarzem Pferdeschwanz, das jetzt auch meine Bestellung aufnimmt („Aa fumpf“) und dann etwas über die Schulter ruft. Ihre Sprache klingt in meinen Ohren ungeschmeidig, die Stimme harsch und es will nicht zu dem anmutigen Gesichtchen passen wie so oft bei Chinesinnen. Ein blasser Junge hebt hinter ihr den Kopf und die Schlitze seiner Augen werden noch schmaler, als ihm auf chinesisch „A 2“ und „A 5“ befohlen wird. Er nickt heftig und windet sich sofort wieder zwischen Woks und Gefrierschrank in der winzigen Küche.

Wir werfen die Mäntel über einen Stuhl, quetschen uns an den einzigen freien Tisch (es gibt nur drei) und besprechen den anstehenden Termin beim Steuerberater. Das Gespräch muss auf englisch übersetzt werden und ich bin zappelig. Während mir assets and liabilites nicht auf deutsch einfallen will, tönt es von der Theke her: „Aa swei? Aa fumpf?“ Der geliebte Brite springt auf und holt die dampfenden Teller. Ich koche ausgesprochen gern und experimentiere ständig, aber so wie dieser kleine Laden krieg ich es nie hin.  „Haben Gabel?“ Soll und Haben. Jetzt fällts mir wieder ein. Vermögen und Verbindlichkeiten, Aktiva und Passiva, Assets and liabilities. Habe jetzt aber nur Hunger.