Sie sind weg. Seit über einer Woche habe ich die beiden Störche im Nest auf der anderen Straßenseite nicht mehr gesehn. Vielleicht sammeln sie sich irgendwo, wahrscheinlicher sind sie schon auf dem Weg, als ungeordneter Schwarm am Himmel. Das würde ich gerne einmal sehn. Wie kommen sie wohl über die Alpen? Als Segelflieger schaffen sie angeblich bis zu 500 km am Tag, dann wären sie längst in Afrika. Oder haben sie Pausen eingelegt? Ein paar Tage Italien vielleicht? Schön, einfach wegfliegen zu können.
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Familienidylle
In der Nähe der Firma beobachte ich manchmal drei Störche auf einer Wiese. Es sind „unsere“ Störche, ihr Nest befindet sich neben dem Gebäude, in dem ich arbeite. Das Junge ist von den Eltern nicht mehr zu unterscheiden, so groß ist es geworden. Die Familie bleibt noch zusammen und stakst auf immer demselben Flecken herum, weiße Vögel im nassen Gras. Und in der Nacht? Verbringen sie sie zu dritt im Nest? Passen die da alle noch rein?
Gestern hat eine Kollegin ihr erstes Baby bekommen. Eine weitere ist schwanger. Die dritte wurde vor einem Jahr Mutter und ist für die Firma nicht mehr verfügbar. Die Chefin sagt, die Störche werden jetzt erschossen.
😉
Storch allein im Nest
Unberührt von den Niederungen eines Büroalltags oder Gespenstern aus der Vergangenheit steht ein vereinsamter Storch hoch oben im Strommasten-Nest. Von drei Geschwistern überlebte nur er. Groß ist er geworden, das Gefieder nun weiß mit schwarzen Schwanzfedern. Fast erwachsen steht er da, stundenlang und ganz allein, mit offenem Schnabel wegen der Hitze. Was für ein Leben, mit nichts zu tun als zu verharren, bis der Herbst kommt. Oder die Eltern mit einem Frosch. Angestrengt schaut er in die Ferne, als warte er auf den Bus. Was windet sich wohl durch sein Storchengehirn? Ob er schon fliegen kann? Ob er es will?
C‘est la vie
Von drei geschlüpften Storchenjungen ist allem Anschein nach nur noch eines da. Manchmal sehe ich es – größer geworden und inzwischen weiß gefiedert – über dem Zweiggeflecht des Horsts in die Welt hinausblicken. Noch immer wird es fortwährend bewacht von seinen Eltern. Ob oben auf dem Strommast noch jemand an die Geschwister denkt? Wohl nicht. Nur ich erinnere mich an sie, eine Weile lang, bis auch ich sie vergesse. So ist das Leben eben.
Man sieht schon das Köpfchen!
Genau gesagt drei Köpfchen sind es geworden. Wie kleine U-Boot-Periskope tauchen sie auf und besichtigen die Welt. Die besteht vorerst aus einer Dorfstraße, ein paar Häuserreihen, Wiesen und am heutigen Tag aus einem leuchtend blauen Himmel.
Über den dunkel-flaumigen Zwerglein ragt mächtig und weiß die Storchenmutter. Jetzt biegt sie den Hals weit zurück, bis der Kopf am Rücken ankommt und ihr Schnabel in die Luft zeigt. Unter lautem Geklapper richtet sie sich elegant wieder auf, hält einen Moment inne und stupst dann eins der Federköpfchen, die vor ihr herumwackeln.
Nur wenn der Sommer feucht bleibt, wenn Frösche, Schnecken und Würmer sich nicht ins Erdreich vergraben – nur dann werden die hungrigen Hälschen gestopft. Bei Futternot stoßen die Eltern ihren Nachwuchs aus dem Nest. Die Küken zählt man erst im Herbst.
Lange Stunden
Im Storchennest tut sich nicht viel. Manchmal steht einer der Vögel darin, meistens schaut nur etwas Weißes hinter dem Rand aus Zweigen hervor. Es gehört zu dem Storch, der auf dem Gelege kauert. Der andere watet durch nasses Gras und jagt Mäuse oder Frösche, beim Mittagsspaziergang sehe ich ihn manchmal.
Vom Brütenden erkennt man nur das Gefieder. Kein Kopf reckt sich hoch und erforscht die Straße, kein neugieriges Storchenaugenpaar späht über Häuser hinweg, kein Schnabel klappert. Träge dehnt sich der Vogel über den Eiern und ich frage mich: wie lange schon. Eine Stunde? Zwei? Sechs? Wir mit unseren überdrehten Gehirnen können uns nicht vorstellen, untätig zu verharren. Menschen in Pflegeheimen vielleicht. Demenzkranke. Oder der Herr in Loriot’s Cartoon. „Möchtest du nicht spazieren gehn?“ „Nein. Ich möchte nur hier sitzen.“
Stunden. Tage. Wochen. Etwa einen Monat lang wechseln die Eltern sich ab mit dem Warmhalten der Eier. Was nehmen sie wahr während langer Nachmittagsstunden? Es tun doch mal die Glieder weh. Die Knochen. Der Hintern. Macht ein Storch sich Gedanken, ob er bald ausfliegen darf? Träumt er von Würmern und fetten Wiesen? Wie lang ist eine Storchenstunde?
Ich könnte das nicht. Ich meine, nichts zu tun. Nie hört mein Hirn auf zu suchen, zu fragen, Beschlüsse zu fassen und Dinge voranzutreiben. Ohne Nahrung schlägt es Purzelbäume. Wie machen die Störche das?
Vielleicht schlafen sie einfach.
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Ausblicke
Vor ein paar Tagen stand ich am Kopierer und beobachtete wie immer durchs Fenster den Strommasten draußen. Ich wollte wissen, was unser Storchenpärchen tut. Mal stehen beide Vögel oben auf ihrem Lager aus Zweigen, mal nur einer von ihnen, mal keiner. Was ich diesmal sah, war jedoch so ungeheuerlich, dass ich es kaum glauben mochte: Ein Riesenvogel besetzte das Nest! Mit ausgebreiteten Flügeln zappelte dort ein weißes Ungetüm prähistorischen Ausmaßes.
Ich vergaß die Kopien und trat zum Fenster, um besser zu sehn, was da vor sich ging. Es war natürlich keine Überraschung, was ich entdeckte, und ich lachte. Ist es nicht Frühling? Unser Storch versuchte gerade, sich auf die Störchin zu setzen, und die Beine von Adebar sind lang, aber nicht so lang. Also musste er ohne festes Nest unter den Füßen mit Flügelhilfe seine Position auf der Dame halten. Wie ein Schwimmer, der im Wasser auf der Stelle hampelt. Die Spannweite von Storchenflügeln kommt auf bis zu zwei Metern, und von weitem erschienen die beiden Körper wie ein einziger. Als ich zum Fenster hinausgeblickt hatte, sah es deshalb aus, als steige ein gewaltiger Phönix aus der Asche. Besser gesagt aus dem Strommast.
Nun, wir können uns denken, wie es mit unseren ganz normal gebauten Störchen dort oben weiter geht!
Sie ist da!
Vielleicht traf sie eine Freundin und es gab viel zu bereden. Vielleicht machte sie Pause um sich zu erholen nach dem langen Flug. Oder sie hatte einfach keine Eile. Aber nun – zwei Wochen nach ihm – ist sie da. Er hatte rechtzeitig die Wohnung besetzt, das eine oder andere ausgebessert nach dem langen Winter, Erdklumpen, Gras und Moos herangetragen. Hübsch hergerichtet ist alles.
Mit kalten Zehen steht er nun bei ihr, und sie betrachten die feuchten, saftigen Wiesen nicht weit von hier, den Bach unter ihnen, das Dorf, in dem sie jeden Sommer verbringen. Zwei Weißstörche sind bereit für eine neue Geschichte im Buch des Lebens.
Storch, Storch, Schnibel, Schnabel
*
Storch, Storch, Schnibel, Schnabel,
mit der langen Heugabel,
mit den langen Beinen.
Wenn die Sonn tut scheinen,
sitzt er auf dem Kirchendach,
klappert laut, bis alles wach!
*
Diesen Reim kenn ich auswendig. Ich las ihn meinen Kindern vor, als sie noch klein waren.
„Mein“ Storch lebt nicht auf dem Kirchendach, sondern auf einem Strommasten. Die letzten Tage sah ich ihn oft im Nest. Reglos stand er da in der Frühlingssonne, stundenlang. Gelegentlich pickte er an den Zweigen, als sortiere er etwas. Er hatte keine Eile damit. Was für ein Leben, dachte ich, ein Mensch kann sich das nicht vorstellen. In Deutschland schon gar nicht. Zeit ist kostbar, wir wollen sie nutzen, müssen etwas tun. Was alten Menschen wohl durch den Kopf geht, wenn sie nichts mehr tun können? Wie lange dauert es, bis man sich daran gewöhnt? Der Storch hingegen kennt es nicht anders. Er steht einfach da und das genügt.
*
Storch hat sich aufs Nest gestellt,
guckt herab auf Dorf und Feld,
wird bald Ostern sein?
Kommt hervor, ihr Blümelein,
komm hervor, du grünes Gras,
komm herein, du Osterhas!
Komm bald fein und fehl mir nit,
bring auch viele Eier mit!
*
Es frühlingt!
Doch, richtig gelesen. Es frühlingt, trotz beißendem Frost. Woher ich das weiß? Klar hab ich Schneeglöckchen entdeckt, wäre ja noch schöner, wenn sie im März noch nicht da wären. Ich sah aber noch etwas anderes und weiß: Bald wird es warm. Vor wenigen Tagen nämlich ist im Penthouse eines Strommasten in einem Haufen aus Zweigen ein Storch gelandet! Festgefroren schmiegte er sich in dieses Nest, als ich heute Morgen vom Parkplatz in die Straße bog. Kurz nach acht wachte er auf und stand lange nur da. Mein Gott. 7.000 km flog er von einem sonnigen Plätzchen in Afrika zurück hierher, und nun das. Zweistellige Minustemperaturen, zumindest in der Nacht. Ich frage mich, was er zum Futtern findet. Einen tiefgefrorenen Fisch aus dem nahen Bächlein vielleicht?
Vorbeigegangen
Wo habe ich meine Augen gehabt? Jeden Tag hätte ich es sehen müssen, wenn ich vom Parkplatz die paar Schritte zur Arbeit ging. Neben dem Firmengebäude steht nämlich ein Strommast. Das überrascht nicht weiter, auch kleine Orte wie dieser werden mit Elektrizität versorgt, und irgendwo muss sie ja her kommen. Heute aber fiel mir zum ersten Mal auf, dass oben auf dem Holzpfahl Gestrüpp liegt. Dort, wo die Leitungen vom Mast wegführen, hängen außerdem Stofffetzen wie Überreste vom letzten Fasching. Es fand aber kein Umzug statt hier, und bunte Wimpel an Stromleitungen anzubringen, wäre auch ungewöhnlich.
Ich trat näher und erkannte Plastikstreifen, die um die Leitungen gelegt und festgetuckert waren. Auf dem Mast lagen Zweige, dass es aussah wie der Horst eines prähistorischen Flugsauriers, dessen Bewohner vor elektrischen Leitungen geschützt werden sollte. Ich lief ins Büro und fragte eine Kollegin: „Hast du gesehen, was auf dem Strommast da drüben ist?“ „Ja sicher, ein Storchennest. Das wird wieder ein Klappern, den ganzen Sommer hören wir es!“ Storchennest? Klappern? Seit letztem Frühjahr arbeite ich hier, Tag für Tag gehe ich vom Parkplatz zum Büro, die Fenster sind bei warmem Wetter offen. Aber dass zwanzig Meter weiter ein Strommast steht, der klappernde Störche beherbergt, habe ich nie gesehn, nie gehört.
Freilich, das letzte Jahr war kein Jahr wie andere, vieles nahm ich nicht wahr. Auch stellt sich immer wieder heraus, dass Dinge komplett aus meinem Gedächtnis verschwinden, als haben sie nur einen Besuch machen wollen. Es ist möglich, dass ich das Nest sah, erinnern kann ich mich daran aber nicht. Ich sah es heute zum ersten Mal.