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Erkenntnis des Tages

Ich schlage eine dieser Hochglanz-Zeitschriften mit einer Mischung aus Lebenshilfe und Einlullen auf: schöne Bilder und schöne Texte für schöne Momente im manchmal unschönen Leben. Zunächst kommen mehrere ganzseitige Fotos: Wehendes Haar mit Frau, Herbstblätter beim Tanzen, weiße Wolken auf dem Weg nach Hause usw. Darunter steht jeweils ein Sinnspruch, damit man nicht gleich so viel lesen muss: „Klarheit bringt der Wind des Wechsels“ zum Beispiel, oder „Den Samen vor sich hertreibend schließt sich der Kreis“, Yin und Yang und sowas. Ich blättere Seite um Seite um und betrachte in andächtiger Versunkenheit die Bilder. Nun folgt eine Seite mit zwei Essigflaschen. „So schön“, ist auch hier mein erster Impuls, aber irgenetwas stimmt nicht. Ach ja, es ist der Spruch: „Jetzt natürlich bei dm“. Damit kann ich nichts anfangen, welche Philosophie ist das denn? Erst nach ein paar Augenblicken kehre ich in die reale Welt zurück und merke, dass es eine Essigwerbung ist.

Man kann alles schön finden, stelle ich fest. Man muss nur in der Stimmung sein. Und etwas Schönes erwarten.

Das war mein Wort zum Dienstag.

Freiburg (131)

Kochfrosch

Wird ein Frosch in einen Topf mit heißem Wasser geworfen, hüpft er erschreckt wieder heraus. Setzt man ihn jedoch in einen Topf mit kaltem Wasser und erhitzt dieses langsam immer mehr, dann bleibt der Frosch sitzen. Bis er tot ist.

Das Beispiel wird in Managementseminaren u.ä. gerne verwendet, denn Menschen verhalten sich in Krisen wie Frösche, und nicht nur in Unternehmen: Wenn bestimmte Lebensumstände sich nicht allmählich entwickeln würden, sondern von jetzt auf nachher – ob man nicht manchmal erschreckt davon springen würde, während man sich ans Aufgekochtwerden gewöhnt hat?

Zeitzonen

Sonntagmorgen, ich stehe unter der Dusche, heißes Wasser läuft an mir herunter und ich mache mir Gedanken über die Zukunft. Das liegt nicht an der Dusche, sondern an meinen Zehennägeln.

Ich angle nach dem Handtuch und beginne mich trocken zu frottieren, die Füße sind als Letztes dran. Ich rubble über die großen Zehen, die seit der letzten Bergwanderung bräunlich-violett schimmern. Bei strengem Abwärtsmarschieren bilden sich bei mir immer Blutergüsse unter den Zehennägeln und es dauert jedes Mal Monate, bis sie herausgewachsen sind.

Ich versuche mir dann auszumalen, wie mein Leben sein mag, wenn ich das letzte verfärbte Stückchen abknipse. Im April oder Mai werden meine Zehen wieder rosig aussehen. Mein Leben auch? Oder wünsche ich mir etwas anders? Unglück an sich ist ja nichts Schlimmes. Ohne Unglück keine Veränderung, ohne Veränderung kein Wachsen.

Aber die Zeit vergeht ja so schnell. Plötzlich ist es nicht mehr Januar, sondern Juni, dann auf einmal September und aus dem Blauen heraus Weihnachten. Ohne dass etwas passiert ist? Wenn man etwas haben will, was man bisher nicht hat, muss man etwas tun, was man bisher nicht getan hat. Und zwar bevor der Zehennagel herausgewachsen ist.

Manege frei

Die Sonne scheint, es ist Abend geworden, und ich bin nicht abgehauen. Nur eine kleine Runde gemacht mit dem Fahrrad, wie ein Tanzbär im Zirkus. Der lässt sich auch in Handschellen abführen anstatt den Dompteur zu verschlingen und zu fliehen.

Wo soll er auch hin. Er wird an die nächste Mahlzeit denken und wo sie herkommen soll, eine plausible Frage für einen Bären in unserer verbauten Industrielandschaft. Und ich lege auch meine Tänze hin. Tue, was man erwartet und verbiete mir Gedanken darüber, was das eigentlich soll.

Nur manchmal, heute, da radle ich durch blühende Obstwiesen und denke an Leute wie Irgendlink, die wenigstens gelegentlich die Manege verlassen in diesem Affenzirkus. Einfach weil’s schön ist. Soll ich vorbeifahren? Das wär was. Vorbei an meinem Haus, nicht absteigen, weiterfahren, nicht überlegen, nur sehen, was es wohl sonst noch so gibt. Nur – wer zahlt dann meine Rentenbeiträge? Da ist die ganze schöne Romantik doch gleich wieder im Eimer.

Maßstäbe

„Der Bräutigam meiner Tochter war ältester Sohn und Enkel, ein hochgewachsener, kräftiger blonder Bursche mit polynesischem Temperament, der seine Zeit mit angenehmen Vergnügungen auf seiner Jacht, im Strandhaus, mit seiner Autosammlung und unschuldigen Festen vergeudete. Mein einziger Einwand war, dass dieser potentielle Schwiegersohn weder eine Arbeit hatte noch studierte, sein Vater ließ ihm eine großzügige Rente zkukommen und hatte ihm ein völlig eingerichtetes Haus versprochen, wenn er Paula heiratete. Eines Tages kam er zu mir, bleich und zitternd, aber mit fester Stimme, um mir zu sagen, wir sollten doch mit den Anspielungen aufhören und Klartext reden, er habe meine verfänglichen Fragen satt. Er erklärte mir, in seinen Augen sei die Arbeit nicht eine Tugend, sondern eine Notwenidgkeit, wenn man essen könnte, ohne zu arbeiten, würde nur ein Dummkopf schuften. Er verstand nicht unseren zwanghaften Drang zu Opfer und Mühen, er glaubte, selbst wenn wir „ungeheuer reich“ wären, wie Onkel Ramón immer sagte, würden wir immer noch in aller Frühe aufstehen und zwölf Stunden täglich ackern, weil das in unseren Augen das einzige Maß für Rechtschaffenheit sei.“

Die Rede ist von einem jungen Mann aus Venezuela, diese Stelle aus dem Buch „Paula“ von Isabel Allende fiel mir in den letzten Wochen immer wieder ein. Abends vor allem, so ab sieben oder acht Uhr, wenn ich immer noch vor dem Bildschirm saß und deutsche mit englischen Sätzen verglich. Freischaffende haben eben andere Arbeitszeiten, tröstete ich mich, und die langen Stunden am Schreibtisch machen mich weit weniger nervös als Tage, an denen nichts zu tun ist. Ich würd gern mal eine Zeitlang Südamerikanerin sein und mich an ruhigen Tagen einfach aufs Sofa legen und einen Mittagsschlaf halten. Als Deutsche könnt ich das nie.

Zwischen den Jahren

Alles überstanden, Weihnachten ist über uns weggebraust. Ich habe den Kopf eingezogen und gewartet, bis es wieder ruhig wurde. Nicht dass etwas vorgefallen wäre. Am Feiertag briet ich einen Truthahn, der gut geworden war. Mit einer Mischung aus Zitronensaft und Whiskey einreiben kann ich empfehlen. Nicht alle Kinder waren da, einer meiner Söhne flog nach Kolumbien, um einen Freund und seine Familie zu besuchen. Salsa könne er nicht mehr hören, teilte er in einer E-Mail mit, sonst alles cool.

Wir waren immer noch zehn Leute. Ein Familientag, wie es sich gehört, hätte ich nicht die ganze Zeit neben mir gestanden. Alles glitt ein wenig ab, wie Wasser von einem Ölmantel. Schon die letzten Monate hatten nicht zu hundert Prozent mit mir zu tun, obwohl ich von außen gesehn die Hauptdarstellerin war in diesem meinem Leben.  Das sind die Medikamente. Vieles, was Angst macht, bleibt ausgesperrt. Manches andere auch.

Im neuen Jahr werde ich darauf verzichten. Nein, erstmal aufs Rauchen verzichten. Dann auf die Medikamente. Derweil funkelt der Christbaum hier mit goldenen Kugeln vor sich hin und versucht, den Raum mit dem göttlichen Entwurf von Liebe und Neubeginn zu füllen. Schön sieht er aus.

Ding und Raum – ein Gespräch

mit dem Liebsten

Ich: „Nein.“
Er: „Warum nicht?“
Ich: „Weil es eingequetscht aussieht.“
Er: „Es passt doch!“
Ich: „Nein. Zu wenig Platz zwischen Kommode und Wand.“
Er: „Hm.“
Ich: „Feng Shui sagt, jedes Ding braucht Raum, um zu wirken. Und jeder Mensch.“

Ihn zur Seite schiebend, Deckenleuchter davontragend.

Er: Blicklos vor sich hingrübelnd.

Dann: „Mir gefällt die Lampe dort aber.“
Ich: „Feng Shui sagt, alles atmet. Wir zwingen nichts in eine Ecke, wo es keine Luft kriegt. Das wirkt sonst auf uns.“
Er: „Weiß Feng Shui, dass es so zu dunkel ist hier?“
Ich: „Lieber im Dunkeln tasten als im Hellen röcheln.“
Er: „Das ist nicht Feng Shui. Das ist Feng Scheiße.“

Ignorant.

Ich bin ein Hauptkerle

Ich klappe die Zeitung zu, als ich sie fertig gelesen habe und applaudiere mir selbst. „Gut gemacht,“ rede ich mir zu, „ich habe die Nachrichten gelesen.“ Mir wurde nämlich geraten, meine unerreichbare Messlatte herunterzuschrauben und erreichbare Ziele zu setzen. Mühelos erreichbare. Mich zu behandeln wie ein Kind, das ermutigt werden will, gefördert, gehätschelt, dem man etwas mitgeben will, was in psychologischen Ratgebern als „Selbstwert“ herumgeistert.

Nun denn: Ich habe die Zeitung gelesen. Ich habe beim Frühstück nicht ständig auf die Uhr gesehen, ich habe nicht überlegt, was ich gleich alles erledigen will und ich bin nicht aufgesprungen. Es ist ja weniger die Gesellschaft, die mich im Visier hat. Ich bin es selbst. Anerkennung ist ganz einfach, wenn Erwartungen die Größe eines Taubeneis haben.

Ich werfe die Zeitung in den Müll, wasche meine Tasse ab und habe am frühen Morgen schon etwas geleistet. Gut fühlt es sich an. Hoffentlich gewöhn ich mich nicht dran. Ha! Reingefallen. Genau darum geht es doch. Wie isst man einen Elefanten? In kleinen Stücken.

Nahlebenerfahrung

So soll es also bleiben. Was jetzt noch folgt, wird nicht besser sein. Kein pralles Bankkonto zu entdecken in der Ferne, kein Aston Martin, kein Märchenprinz. Was es hier gibt, ist ein bisschen Luxus, eine gute Partnerschaft, gesunde Kinder, toi toi toi. Ich vermisse nichts außer einem sicheren Einkommen, doch der Staat sorgt für mich. Im Moment jedenfalls.

Die Tage rauschen also dahin mit Arbeiten, Erledigungen, Gelesenem und Geschriebenem, der Sonntag hat keine Angst mehr vor dem Montag, Ruhe zieht ein, ich versäume nichts. Manchmal möchte ich die Stunden anhalten, kostbarer als jetzt werden sie nicht.

„Wenn ich erst einmal Zeit habe, werde ich viel lesen“, dachte ich noch vor kurzem. Oder „Wenn ich diese Arbeitsstelle los bin, werde ich glücklich sein“. Jetzt stapeln sich neben der Couch gelesene Bücher, und mein kleines persönliches Glück steht vor der Tür wie ein fremder Gast, mit dem ich noch nichts anzufangen weiß. Ich bitte es herein und hoffe, Vertrauen stößt auch noch zu uns.

Auszeit

Schön ist nicht mehr das Ausgehen, sondern das Heimkommen. Kalter Regen und Windböen jagen mich ins Haus, ich werfe Mantel und Schirm in die Ecke, Türe zu, Heizung an. Mit gerötetem Gesicht falle ich aufs Sofa, kleine Schlückchen heißen Tees lassen es warm werden in mir drin. Über einem aufgeschlagenen Buch auf den Knieen entstehen Bilder aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt, ich träume mich weg und in den Abend hinein, während aus dem Radio die ruhige Stimme eines Sprechers dringt, wie es sie nur bei Klassiksendern gibt. Draußen tobt das Wetter, das Leben, ich blicke diesem Tumult einen Augenblick hinterher. Dann schiebe ich die Gardinen zu, wickle mich in einen Teppich und denke: Das geht mich heute gar nichts an.

 

Sowas!

Es kribbelt wieder. Man hat das ja manchmal, dass für einen Moment lang etwas ins Herz reinkriecht, das mit Glücklichsein zu tun hat. Ein pulsierendes, fast den Atem nehmendes Ziehen tief drinnen, und ich dachte ja schon, das sei vorbei. Durch die Depression –  oder das Medikament dagegen – war mein Herz in eine dicke Schicht eingesunken, wie ein Rollmops in Sülze. Darin ist das Augenblicksglück bei seinen Versuchen vorzudringen wohl immer steckengeblieben. Und jetzt? Kribbelts! Weil die Herbstsonne ins Zimmer fällt, weil das neue Waschbecken und das Bettgestell gekommen sind, weil die Wohnung allmählich heimelig wird, weil ich die ganze Woche Aufträge hatte. Das ist doch was.

Schön und gut

Auf meiner Stirn befinden sich parallel zueinander zwei tiefe, senkrechte Falten. Sie verschwinden schon lange nicht mehr und es sieht immer ein bisschen aus, als ärgere ich mich. Gelegentlich dachte ich deshalb daran, mir da Botox reinjagen zu lassen, ist aber teuer. Nun stehe ich vor dem Spiegel. Ich geh nah ran, wieder zurück, drehe mich von einer Seite zur andern, betrachte unter verschiedenen Lichtverhältnissen meine Stirn. Ganz klar. Sie ist glatter geworden. Sie fühlt sich sogar ein bisschen anders an. Als klebe ein dünnes Pflaster drauf und hindere die Haut daran, sich zu furchen.

Es liegt vielleicht daran, dass ich tiefer schlafe in letzter Zeit. Oder mein Herz versorgt mich besser, das schmerzhafte Pochen und Jagen kommt nicht mehr so oft. Und jetzt glättet sich auch noch meine Stirn. Wer sagts denn. Ein messbares Ergebnis, als Frau noch das schönste dazu. Schon deshalb hat sich der Ausstieg gelohnt, so wechselverjahrt bin ich noch nicht, dass mir Stirnfalten egal wären!

 

F..k it!

„Man muss es  mir ansehen,“ dachte ich vor vielen Jahren, als ich in Pömps, Blazer und mit leuchtenden Augen zum ersten Mal wieder zur Arbeit fuhr. „Man muss es mir ansehen: hier kommt eine Arbeitnehmerin!“ Schwungvoll steuerte ich das Fahrzeug auf den Parkplatz einer kleinen Werbeagentur, bei der jede Zelle meines Körpers angestellt war. Zehn Jahre Aldi am Vormittag, Spielplatz am Nachmittag, Wäschewaschen, Essenkochen, Kinderhüten – wenigstens stundenweise blieb das hinter der Haustür zurück, die ich von außen geschlossen hatte. Hier war ich: Geld verdienend, ernstzunehmend, welcome back!

Aus dem Mini-Job wurde ein Teilzeit-Job und schließlich Vollzeitarbeit. Es lief gut, ich hangelte mich nach oben und das Geld war ok. Ob sich im Lauf all der Jahre das Arbeiten veränderte oder ich mich, ist schwer zu sagen. Irgendwann fing es jedenfalls an, mich abzuschnüren: die Hektik, die unklaren Erwartungen, der Druck, die Gereiztheit der Chefs. Ich paddelte wie ein Pudel, der in einen Teich geworfen wurde und den man mit einer Stange immer wieder vom Ufer schubst. Da kann man strampeln, wie man will – man geht irgendwann unter.

Heute bummle ich am hellichten Werktag durch die Innenstadt an Schaufenstern und Straßencafes vorbei und denke: „Schaut! Hier kommt eine Aussteigerin!“ Ich habe Nein gesagt zu dem, was mich kaputt macht. Hier bin ich: Frei. Mein Leben gehört mir. Und das mit dem Geld wird schon irgendwie werden, f..k it!

… spielendes Blatt …

Raus aus der Wohnung, rauf auf den Berg. Gestern nach Bregenz gefahren, Pfänder bestiegen, 650 m Höhenunterschied  in 1 ½ Stunden. Danach ist man frei von störendem Tiefenkram.

Der Fußpfad beginnt hinter dem Parkplatz, wir schulterten die Rucksäcke und los. Steil. Es bleibt wenig Zeit, um Gedanken nachzuhängen. Vergangenes, Job, Chefs, Zukunftsgespenster –je weiter man nach oben schnauft, desto mehr zählt nur noch: Wie turne ich über die Steine, ohne mir die Knöchel zu verknaxen? Wie geht das Herumstochern mit den Wanderstöcken am Besten? Wie krieg ich den Lehm von den Schuhen?

Auf dem Gipfel ist es dann, als wäre der ganze Mist des derzeitigen Lebens durch ein Sieb gelaufen. Unten tropft raus, was von Bedeutung ist: Nicht viel. In der Sonne sitzen zum Beispiel, durchatmen, die Waffeltüte mit Himbeereis in meiner Hand. Eine Stunde lang saßen wir da, vielleicht zwei. „Mein Glück ist ein spielendes Blatt im Sommerwind …“ fiel mir ein. Ruhe. Das andere blieb im Tal, unwichtig.

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Beschäftigungsverordnung

Der ganze Aufwand für die Katz. Termine, Papierkram, Telefonate: alles, was mit dem Arbeitsamt durchgepflügt wurde – dahin! Die Anträge wurden gelöscht, weil ich ab dem 1. Juni  nicht arbeitslos bin, sondern krank. Ich habe F43. So stehts jedenfalls in der Krankmeldung, die ich heute vom Arzt bekam, F43-irgendwas, man wird ja nach Code-Nummern eingeteilt. Ich kenn mich da nicht aus, in den letzten vier Jahren war ich nur einmal krank, und davor, glaube ich, gar nicht. Und vor davor hatte ich kleine Kinder, da lernt man – krank hin, krank her – weiterzumachen.

Deshalb hielt ich ratlos zwei Krankmeldungen in der Hand. Wieso zwei? Eine für die Krankenkasse, eine für den Arbeitgeber, erläuterte man mir. Aha. Im Moment verbringe ich noch meine letzten Urlaubstage, danach ist mein Brotherr also die Krankenkasse, nicht das Arbeitsamt. Das Arbeitsamt will nur Gesunde, und wenn ich soweit bin, darf ich mich auch wieder arbeitslos melden. Dann geht der ganze Kladderadatsch mit Antragstellung, Terminen, Papierkram, Telefonaten usw. von vorne los.

Gut, dass ich jetzt Zeit habe für sowas.

Have-done:

  •  Büroschlüssel an die Firma zurückgeschickt
    (hatte ihn versehentlich mitgenommen)
  •   Handtasche aus- und frisch eingeräumt
  •   Handy neu eingerichtet (Providerwechsel)
  •   Beim Arbeitsamt angerufen
  •  Arzttermin vereinbart
  •  Gejoggt
  •  Betten frisch bezogen

Und es ist erst zwei Uhr!

Ich renne in der Wohnung herum, von einem Telefon zum andern, von einem Job zum andern. Es verlangt mich danach, Nützliches zu tun. Das geht auch, wenn man arbeitslos ist, wie man sieht.

Lebendiges Deutsch

„Aa swei bitte.“
„Aa swei, ja.“

So klingt es, wenn im Asia-Imbiss ein Engländer bei einer Chinesin das Gericht A 2 bestellt. Wir sind gerade fertig mit ein paar Besorgungen und bringen Taschen und Kälte in den kleinen Gastraum. Hinter dem vollgestellten Tresen steht ein Mädchen mit pechschwarzem Pferdeschwanz, das jetzt auch meine Bestellung aufnimmt („Aa fumpf“) und dann etwas über die Schulter ruft. Ihre Sprache klingt in meinen Ohren ungeschmeidig, die Stimme harsch und es will nicht zu dem anmutigen Gesichtchen passen wie so oft bei Chinesinnen. Ein blasser Junge hebt hinter ihr den Kopf und die Schlitze seiner Augen werden noch schmaler, als ihm auf chinesisch „A 2“ und „A 5“ befohlen wird. Er nickt heftig und windet sich sofort wieder zwischen Woks und Gefrierschrank in der winzigen Küche.

Wir werfen die Mäntel über einen Stuhl, quetschen uns an den einzigen freien Tisch (es gibt nur drei) und besprechen den anstehenden Termin beim Steuerberater. Das Gespräch muss auf englisch übersetzt werden und ich bin zappelig. Während mir assets and liabilites nicht auf deutsch einfallen will, tönt es von der Theke her: „Aa swei? Aa fumpf?“ Der geliebte Brite springt auf und holt die dampfenden Teller. Ich koche ausgesprochen gern und experimentiere ständig, aber so wie dieser kleine Laden krieg ich es nie hin.  „Haben Gabel?“ Soll und Haben. Jetzt fällts mir wieder ein. Vermögen und Verbindlichkeiten, Aktiva und Passiva, Assets and liabilities. Habe jetzt aber nur Hunger.