Ich steh an der Ampel. Im Wagen vor mir sitzt eine junge Frau am Steuer, die plötzlich die Arme hochwirft. Sie reckt sie nach links, dann nach rechts, sie hebt die Schultern und lässt sie fallen, sie wackelt mit dem Kopf, dass ihr dünner Pferdeschwanz mithüpft. Sitztanzen nennt man das wohl. Garantiert hört sie dasselbe Lied wie ich: „Augenbling“ läuft gerade im Radio, von Seeed.
Ein Mann sitzt neben der fuchtelnden Frau und schwingt mit den Fäusten hin und her. Die beiden haben Spaß, und auch bei mir zuckt es jetzt. Geht ja nicht anders bei dieser Knallermusik, man will einfach tanzen. Auch oder gerade in einer öden Ampelschlange.
Nun schaltet es auf Grün, die Autos setzen sich in Bewegung. Wir befinden uns auf der Abbiegespur und wie die Kolonne nach links in die Kurve geht, sehe ich ins Innere des Fahrzeugs vor mir. Es ist gar keine junge Frau. Es ist eine alte Frau. Um die Siebzig, würd ich sagen. Ihr Beifahrer mindestens auch so.
Da möchte man die beiden augenblicklich überholen, sich vor ihnen querstellen, aussteigen, ihre Wagentür aufreißen und Auskunft verlangen: „Was geht hier vor? Wieso tanzt ihr, als ob keiner zusieht? In eurem Alter? Ich will die ganze Geschichte hören. Sofort.“
(Ich hätte auch ein bisschen sitztanzen sollen)
Tanzt ihr auch manchmal im Auto?