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Männersache

Neulich im Büro: Ich sitze an meinem Schreibtisch im Empfangsbereich, da kommt der Lehrer aus dem vorderen Unterrichtsraum und stützt einen Kursteilnehmer. Er kann kaum mehr gehen. Sie lassen sich auf das Sofa im Aufenthaltsbereich sinken, die Abteilungsleiterin kommt aus ihrem Büro und blickt den etwa vierzigjährigen Syrer besorgt an. Der Mann wendet sich ab, vergräbt sein Gesicht in den Händen und spricht kein Wort.

Wir bringen ihm Wasser, einen Schokoladenriegel und versuchen zu erforschen, was los ist. Ein anderer Teilnehmer, ein sanfter junger Mann, der ebenfalls aus Syrien stammt und gerade hereinkommt, setzt sich zu ihm und redet auf ihn ein. „Schwindelig“, sagt er dann zu uns und deutete auf den Mann neben sich, „atmen nicht gut“.

Ich öffne die Fenster und lasse frische Luft herein, die Leiterin tätschelt seine Hand und beruhigt ihn. Der an sich große Mann sitzt ganz klein da und verbirgt immer noch sein Gesicht. Er weint. Er weint still vor sich hin, und hört gar nicht mehr auf.

Ich habe im öffentlichen Bereich noch nie einen deutschen Mann weinen gesehen. Und wenn, dann wären es Frauen, die sich – wie hier – kümmern. Aber keine der syrischen Frauen kommt. Nur Männer. Eine ganze Gruppe wartet mit ihm auf die Ambulanz. Einer von ihnen begleitet ihn, als er abgeholt und zur Beobachtung ins Krankenhaus gebracht wird.

Der Syrer hat in der Vergangenheit ein Auge verloren, und in ein paar Tagen wird ihm ein künstliches Auge eingesetzt. Vielleicht hat er einfach Angst.

Energierückgewinnung

Einem Menschen über lange Zeit beim Loslassen des Lebens zusehen zu müssen, ist keine einfache Sache. Erst recht nicht, wenn es die Mutter ist mit all den Geschichten, die verbinden oder auch nicht. Wie viel Energie dabei auf der Strecke blieb, merke ich erst jetzt, wo ich sie wieder für mich selbst behalten darf.

Sichtbares Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass ich trotz Jobverlust, Wohnungswechsel und Zukunftsangst rauchfrei geblieben bin. Drei Monate sind es heute. Davor hatte es schon genügt, dass meine Mutter wieder einmal ins Krankenhaus musste und ich mit dem ganzen Brimborium dastand und gleich wusste, was auf mich zukam. In solchen Fällen (zum Beispiel) habe ich halt immer ein Schächtelchen Trost aus dem Automaten gezogen, auch wenn ich das Rauchen eigentlich aufgegeben hatte.

Aber jetzt – fließt es wieder. Ich fühle mich leicht und zuversichtlich, Nikotin brauche ich nicht. Heute habe ich Herbstastern zu ihrem Grab gebracht. Uns geht es gut.

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Die Viertelbelohnung

Heute habe ich eine viertel Zigarre geraucht. Schmeckte toll. Mild und auf den Lippen zuckrig. Meine Tochter schenkte sie mir zum letzten (oder vorletzten?) Geburtstag, aber niemand hat sie geraucht mit mir. Inzwischen habe ich das Rauchen sowieso aufgegeben.

Und heute zündete ich sie an. Nach der Arbeit setzte ich mich in die Dunkelheit auf dem Balkon und zog daran. Die ersten Rauchkringel trugen etwas vom Tag in die Nacht. Komplizierte Kunden, Zeitdruck, Übersetzersuche in exotische Sprachen für riesige Textmengen in wenigen Tagen. Nochmal ziehn – und wieder löst sich etwas auf. PAFF.

Ein paar Sterne schauen mir zu und den weißen Schwaden, die übers Geländer kriechen. Es gefällt mir immer besser. Ich betrachte die geschlossenen gelben Köpfchen der Strohblumen auf dem Tisch. Beim Nachbarn geht Licht an. Ausatmen, noch ein Wölkchen. Alles löst sich und vergeht. Irgendwo quietscht ein Garagentor, ein Motor wird angelassen, das Geräusch eines sich entfernenden Fahrzeugs. Stöckelschuhe kommen näher, Rufen, Lachen, Menschen, die keine Sorgen haben. Nicht in diesem Augenblick. Ein Viertel der Zigarre ist geraucht, ein Zug noch.

Dann drücke ich sie vorsichtig aus. Man muss sich mal etwas Gutes tun. Eine Viertelstunde lang nicht nachdenken, nur Rauchkringeln hinterher schauen. Deshalb fang ich ja nicht das Rauchen wieder an. Eine Zigarre ist wie ein Joint. Das gilt nicht.

Zum Warmwerden

Bevor wir gestern Abend ins Pub gingen, haben wir zu Hause einen Whiskey getrunken. Wie die Kids, die sich zum „Vorglühen“ bei irgendeinem von ihnen treffen und zusammen bechern, weil’s Stimmung macht und billiger ist. Danach geht’s auf die Gass. Wie die Kids also standen wir gestern in der Küche herum, fühlten uns aber wie James Bond, denn wir schütteten nicht Wodka oder Jägermeister in uns rein, sondern hielten lässig ein Glas mit teurem Whiskey in der Hand. Schlückchen für  Schlückchen spülte das goldene Getränk den Stress des Tages hinunter und schon nach wenigen Minuten interessierte mich, was mein Partner zu erzählen hatte. Eine für Freitagabend  ungewöhnliche Freundlichkeit strömte aus mir heraus. Ich wurde gesprächig, wir unterhielten uns, lachten, der Abend fing ganz anders an als sonst.  Es war, als hätte ich an einem Wintertag im Hemd draußen gestanden und dann einen Mantel angezogen:  Ich spürte  keine Kälte mehr.

Wenn ich schon nicht rauchen darf, dann werd ich halt Alkoholiker, dachte ich. Nein, natürlich nicht, das war ein Scherz. Ich beginne nur gerade zu verstehen, wie es dazu kommen kann.



Hoffentlich hilfts

Wirklich: Ich trinke wenig Alkohol. Nur am Freitagabend im Irish Pub zwei oder drei Schorle, selten mal einen Whiskey. Trinken ist des Genusses nicht wert, ermahne ich die Kinder immerzu. Glücksgefühle im Alkoholdunst sind nun einmal künstlich und der Vergleich mit nüchternen Betrachtungsweisen ist gefährlich. Auf keinen Fall würde ich mögliche Folgen verharmlosen. All das stimmt. Aber an Tagen wie heute, an denen man sich neun Stunden lang zerrissen hat, um das Arbeitspensum zu schaffen, die Übersicht nicht zu verlieren, den Umgangston neutral zu halten, an denen der Nacken schmerzt und vor der Firma der Straßenbelag aufgehämmert wurde – an solchen Tagen braucht man abends einen Ramazzotti. Zum Wohl allerseits. Ich hoffe ihr braucht keinen.

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Der lange Weg zum Feierabend …

… wird kürzer mit Chantré. Nein, hier folgt keine Werbung für alkoholische Getränke, es fällt mir nur auf. Seit ein paar Tagen stehen hier nämlich Flaschen herum mit hochprozentigem Inhalt, seit Jahren gereift im Wohnzimmer meiner Mutter und dann mir übergeben, da nicht mehr gebraucht. Früher hätte sie ein Schlückchen Cognac nicht verschmäht und Namen wie Sliwowitz, Ouzo oder Jim Beam kenne ich seit meiner Kindheit. Wobei Jim Beam bei uns ausgesprochen wurde wie Jim Bimm und mir gefiel das Wort immer, weil es klingt wie Bimm Bamm.

Jedenfalls war mein Tag wenig erfolgreich heute. Die Arbeit fraß mich auf, zwei Aufträge konnte ich nicht wie zugesagt ausliefern, eine Reklamation klemmt in meiner Magengrube. Erst nach sieben kam ich heim, aufgewirbelt und zerfahren und da, neben dem Telefon, atmeten die Flaschen. Ich hatte sie zunächst einmal dort abgestellt und seither überlegt, was mit ihnen anzufangen sei. Heute wusste ich es. Ich griff nach einer der angebrochenen und es ist Chantré. Ein paarmal genippt und jetzt spüre ich ein bisschen Feierabend. Das Karussell in meinem Kopf fährt langsamer, bald kann ich aussteigen. Wenigstens für heute Abend.

Wer’s lassen kann, ist im Vorteil

Rauchen ist gefährlich und Raucher sind blöd, wir wissen es alle. Wie viele andere suche deshalb auch ich nach einer Erklärung, warum es trotzdem sein muss. Vielleicht, weil Rauchen schnell abhängig macht und ein Bedürfnis geschaffen wird, das nach Befriedigung schreit. Was daran gut sein sollte? Dass es erholsam einfach ist, diesem Wollen nachzugeben! Eine tolle Sache in Zeiten, in denen das hochgehaltene Banner mit all den andern Wünschen drauf ungesehen bleibt. Wie sexy ist es dagegen, wenn der Drang nach Nikotin durch Adern und Nevenstränge kriecht, den Verstand durchdringt, mächtig wird und sich dann eine Zigarette anzuzünden. Wenigstens das funktioniert. Die kleinen Freuden des Alltags passen in eine Schachtel, dauern jeweils nur wenige Minuten lang und sind besser als nichts.

Später einmal mache ich mir Gedanken über Rauchen zur Stimulierung, gegen Stress, zur Geselligkeit, gegen Einsamkeit, zum Trost, bei Langeweile, oder auch über Rauchen vor der Tür, bei kaltem Wind, dem Blick der Leute ausgesetzt, üblen Geschmack im Mund, Geruch an den Händen, fahle Haut, schlecht durchblutete Beine, ach, es gibt viel zu erörtern. Das folgt vielleicht, wenn es in meinem Leben überschaubarer geworden ist und ich das Zeug nicht mehr brauche.

Trost

Tröste Dich, die Stunden eilen,
Und was all Dich drücken mag,
Auch die schlimmste kann nicht weilen,
Und es kommt ein andrer Tag.

In dem ew’gen Kommen, Schwinden,
Wie der Schmerz liegt auch das Glück,
Und auch heitre Bilder finden
Ihren Weg zu Dir zurück.

Harre, hoffe. Nicht vergebens
Zählest Du der Stunden Schlag:
Wechsel ist das Los des Lebens,
Und – es kommt ein andrer Tag.

(Theodor Fontane)