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Der Akkordeonspieler

Siehst du, wie meine Finger die Tasten beherrschen? Flüssig sprechen kann ich nicht, und nichts Wichtiges ist an mir. Doch hinter dem Akkordeon ist das anders, Petite Fleur, magst du es?

Viel ist es nicht, was noch zählt. Beim Musizieren aber, da bleibe ich – auch im Alter noch – flink und frisch. Gut, dass sie da sind. Gut dass sie sehen, hören, wissen: ich bin schon wer. Gut, dass sie da ist, sie vor allem.  Nur selten folgt sie in dieses Zimmer, das Spielzimmer, das früher ihres war. Sie tut, als lebe der Teufel darin, doch diesmal nickte sie still, als ich das neue Akkordeon zeigen wollte, sah zu Boden, nahm die Kinder bei der Hand und den Mann, alle stehen nun vor mir.

Mit glänzenden Augen und feuchten Lippen starren die Kleinen auf meine Finger, ihr Vater verzieht den Mund zu einem Lächeln. Sie schaut auf einen Punkt hinter mir, doch da ist nur Wand. Nie schaut sie mich an. Ich spiele noch das „Glühwürmchen“, als Kind mochte sie es.

Wie oft muss ich sagen, dass ich sie sehen will? Na schön, sie sind hier, heute. Aber es gehört sich doch, dass man seinen Vater öfters besucht und auch nachhört, wie es ihm geht und was ihn bewegt. Warum so selten? Ich liebe sie doch!

 

Täuschungen

Sein kleiner Körper presst sich mit dem Rücken an die Wand, der mächtige Vater erhebt seinen Arm. Seit langer, langer Zeit hat er geschimpft und geflucht, er wollte nicht aufhören damit. Ganz klein macht sich der Bub. Er fürchtet die Schläge, doch es geschieht etwas anderes.

Verschreckt schlägt er die Augen nieder, sein Blick wandert nach unten und was er entdeckt, macht ihn schwindelig. Plötzlich trägt er nämlich kein kariertes Hemd mehr und kurze Hosen, sondern einen dunkelgrauen Anzug mit weinroter Krawatte. Er zupft an ihr, als habe er noch nie eine gesehn, jedenfalls nicht an sich, da entdeckt er Haare auf seinem Handrücken. Er sucht nach einer Erklärung, auch für den Ehering, der auf einmal an seinem Finger steckt. Als ob dicker Nebel sich langsam verzieht, erkennt er nun Schemen und ihm dämmert, was schließlich klar wird: Er ist gar kein Junge mehr. Vor ein paar Wochen wurde er fünfundvierzig Jahre alt, einszweiundachtzig ist er groß und fünfundneunzig Kilo schwer. Jetzt guckt er hoch.  Sein Vater steht immer noch da, klein geworden und stumm.

Der Junge, der kein Junge mehr ist, schaut sich um. Wo blieb das Ungeheuer, das ihn Zeit seines Lebens verfolgte und ängstigte? Er sieht keins. Er sieht einen zerfurchten kleinen Mann, dem er nichts zu sagen hat, und er geht. Unsicher schaut der Vater ihm hinterher.