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Die Welt ist schön

Neulich beim Adventskonzert: Nach ein paar Stücken des Orchesters löst sich ein zierliches Mädchen aus dem Hintergrund und geht nach vorne, eine Harfe wird herbeigebracht. Sie setzt sich an das Instrument, streicht sich über den dichten Pferdeschwanz, holt tief Luft und beginnt, mit den Händen die Saiten auf- und abzugleiten. Weiche Klänge ertönen, „Greensleeves“.

Ich betrachte das Gesicht des Mädchens. Es scheint so zart, so rein, so unschuldig wie eine Elfe, die sich in ein Kirchenschiff verirrt hat. Sicher ist sie eine gute Schülerin, hat Freundinnen und auf jeden Fall Eltern, die ihr eine Harfe und Musikstunden ermöglichen.

Nach drei Liedern steht sie auf, senkt schüchtern den Kopf, die Leute applaudieren. Der Vater trägt die Harfe weg, das Mädchen setzt sich wieder, eng zwischen die Eltern. Das Konzert geht weiter.

Ich kann den Blick nicht von ihr lassen. Ist es das, wonach wir uns an Weihnachten sehnen? Behütet zu sein, geliebt, gefördert und in Sicherheit? Ist der ganze Rummel deshalb nicht aus der Welt zu schaffen, weil Weihnachten der Traum von einer schönen, heilen Welt ist, die wir vielleicht als Kind vor dem Christbaum erlebt haben? Oder gerne erlebt hätten? Ist es einfach der Wunsch nach: Alles ist gut?

Wie auch immer. Ich wünsche euch allen ein frohes Fest mit lieben Menschen,
oder ein friedliches mit euch selbst.

Schöne Weihnachten!

 

 

London

Eigentlich ist unser Ausflug nach London schon wieder vorbei, aber ich nehm euch einfach nachträglich mit. Schaut mal:
(Draufklick = groß)

Dann war da noch der Besuch beim hochbetagten Onkel und der Tante des geliebten Briten. Ich bin ich wieder einmal von den Aufenthaltsräumen eines Pflegeheims überrascht. Teppiche, Plüsch und dunkles Holzmobiliar, überall rafft und rüscht es sich, im Speisesaal hängen kronleuchterähnliche Lampen und beim Abendessen sieht es aus wie bei einer festlichen Einladung. Dabei handelt es sich um eine ganz durchschnittliche Einrichtung. Bei uns sind solche Räume weiß getüncht, funktional, abwaschbar.

Wir trafen uns außerdem mit dem Neffen und dessen Freundin. Das Mädchen erzählte, dass ihr Vater sich kürzlich weigern wollte, einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Die Kinder seien erwachsen, es sei mühsame Arbeit, nicht nötig für die paar Tage. Aber alle protestierten und der Weihnachtsbaum kam zum Einsatz wie jedes Jahr. Interessant ist das Detail, dass die Familie der Freundin Hindus sind, ich glaube die Eltern stammen aus Indien. Mit den Anlässen zum Feiern nicht man es aber nicht so genau. Ob sie auch Weihnachtslieder singen, habe ich vergessen zu fragen.

 

Weihnachtsaktion

Wieviel Weihnachten braucht ein Büro? Das fragten wir uns Ende November, als die firmeninterne Adventsdekoration fertig war. Eine Mitarbeiterin von einem anderen Standort war eigens hergekommen, um wenige Tage vor einer Veranstaltung unsere Büros zu schmücken.  Sie brachte schwere Taschen und große Kartons, in die sie wieder und wieder  griff und sich dann suchend in den Räumen bewegte auf der Jagd nach weiteren Platzierungsmöglichkeiten. „Schade, dass ich nicht dabei sein kann“, meinte sie schließlich und nestelte an den letzten Engelchen herum, „aber ich habe einen wichtigen Termin an dem Tag.“

Als sie gegangen war, standen wir ratlos vor der Bescherung. Von jedem Regal, jedem Tisch, jedem Schrank ergossen sich Glitzerkugeln, Tannenzweiggirlanden aus Plastik, Krippenfiguren und eine gefühlte Hundertschaft an pausbäckigen Weihnachtsmännern. In den Ecken formierten sich Bodenvasen mit reich vergabelten und bunt behangenen Ästen, auf den Fenstersimsen lag Goldfolie drapiert. Es sah aus wie auf einem Weihnachtsbazar.

„Vielleicht ein bisschen zuviel,“ bemerkte jemand. Ich betrachtete mein bisher minimalistisch gestaltetes Aktenregal, das nun komplett mit Weihnachten befüllt war.
In den folgenden Tagen versuchten wir, uns daran zu gewöhnen. Vergebens. Schließlich sagte jemand: „Sollen wir  etwas davon wegnehmen? Die Kollegin kommt ja nicht zur Veranstaltung.“

Wir fingen an, ein wenig zu reduzieren, und plötzlich – machten alle mit. So, wie es mit der Weihnachtsschmuckbeauftragten durchgegangen war, ging es mit uns beim Abräumen durch. Im Handumdrehen waren nur noch zwei Bodenvasen und ein paar Sterne übrig, wir konnten wieder atmen.

Am Veranstaltungstag stellte sich die Belegschaft zur Begrüßung der Gäste im Eingangsbereich auf. Namensschilder wurden verteilt, Sektgläser und Häppchen bereitgestellt, und dann kam, was kommen musste: Jemand blickte aus dem Fenster und schrie: „Ihr glaubt nicht, wer auf dem Parkplatz steht!“ Die Dekorateurin hatte offenbar den Termin verlegen können.

Sie schimpfte wie ein Kesselflicker. „Ich habe den Auftrag gehabt, die Räume zu schmücken! Ich habe ein größeres Budget dafür erhalten und viel Zeit damit verbracht! Wo ist die Dekoration? Wer hat das veranlasst?“

Wir mussten es aushalten. Ließen sie ihren Ärger Luft machen, beteuerten, dass alles zurückgestellt wird, drückten ihr ein Glas Sekt in die Hand und waren übertrieben freundlich zu ihr.

Ich arbeite häufig mit dieser Kollegin zusammen und war bis dahin nie recht warm geworden mit ihr. Aus purem schlechtem Gewissen behandelte ich sie aber von diesem Tag an außerordentlich aufmerksam und liebenswürdig, auch wenn sie brummig war. Sie schien darauf gewartet zu haben. Die Frau wurde auf einmal gesprächiger, positiver, lustiger, und nachtragend ist sie auch nicht. Sie hat den Vorfall nie wieder erwähnt. Ich möchte behaupten: Sie ist ein netter Mensch. Wir mögen uns jetzt.

So war die Aktion doch noch für etwas gut.

Weihnachtliche Nachgedanken

Der Kaufrausch ist überstanden, der Truthahn seiner Bestimmung zugeführt – Zeit für eine Betrachtung. Während sich nämlich die Wegstrecken eines Menschen (insbesondere einer Menschin) vor und während der Weihnachtszeit nur erahnen lassen, kann die dezemberliche Laufleistung eines Kamels exakt berechnet werden. Jedenfalls wenn es in der familieneigenen weihnachtlichen Holzapparatur neben dem Fernseher unterwegs ist. Lehnen wir uns also zurück und denken nach:

Unter der Voraussetzung, dass die 3 Könige (K3), der Engel (E) oder andere Gestalten (G.div) den unaufhaltsamen Gang des Kamels (K) nicht beeinträchtigen oder gar behindern (s.a. PyVO §1 Absatz 2), kann man pro Minute von etwa 20 Umrundungen der mittig angebrachten Bettmulde ausgehen. Der Abstand (d) des Kamels bis zur Drehachse wird auf 65,7 mm gemessen.

Bei einer geschätzten täglichen Betriebszeit von durchschnittlich 1,37 Stunden (Wartungsarbeiten wie Kerzenwechsel, gelegentliche Justierung der Wärme-Kraft-Koppelung WingAdjust sind bereits berücksichtigt) und einer saisonal bedingten Einsatzzeit von diesjährig 26 Tagen ergibt sich für 2015 eine Laufleistung von
20l/min * 60min/h * 1,37h/d * 26d * 65,7mm * 2 * π = 17636003,424 mm = ~17,6 km
und entsprechend eine tägliche Wegstrecke von 0,678 km.

Die durchschnittliche Dauer der Adventszeit beträgt 25 Tage.
Addieren wir eine approximierte Nachlaufzeit von weiteren 5 Tagen, erhalten wir in einer ersten Hochrechnung 30 Tage pro privathaushaltlicher Weihnachtsperiode.
Gehen wir weiter davon aus, dass die weihnachtliche Holzapparatur ein Alter von 47 Jahren und ein Kamel 4 Beine hat, berechnet sich die Laufleistung aller Kamelbeine (K4b) in der gesamten Lebenszeit auf 3.827,59 km.

„Höcker um Höcker, Huf um Huf“, heißt es schon in der Bibel, und ich danke meinem guten Freund und Oberbeduinen Wolfgang dafür, dass ich sein Rechenexempel hier veröffentlichen darf.

Ich wünsche euch allen eine schöne Nachweihnachtszeit!

W-Pyramide_Wolfgang

Es lebe die Vielfalt!

Hallo ihr Lieben,

habt ihr ein schönes Weihnachtsfest gehabt? Das beste Geschenk ist doch immer mehr das große, offene Herz eines andern und die gemeinsame Zeit, die man miteinander verbringt. Ich hoffe, ihr alle habt ein paar liebe Menschen um euch, von denen ihr angenommen werdet und mit denen ihr euch wohlfühlt. Menschen, die ihr lieben dürft und bei denen eure Liebe willkommen ist.

Es lebe die Liebe, es die Vielfalt, es lebe der Weihnachtsgedanke!

 
 


 
(Danke, BOWMORE Darkest, bei dir habe ich dieses Video gefunden!)

Zwischen den Jahren

Alles überstanden, Weihnachten ist über uns weggebraust. Ich habe den Kopf eingezogen und gewartet, bis es wieder ruhig wurde. Nicht dass etwas vorgefallen wäre. Am Feiertag briet ich einen Truthahn, der gut geworden war. Mit einer Mischung aus Zitronensaft und Whiskey einreiben kann ich empfehlen. Nicht alle Kinder waren da, einer meiner Söhne flog nach Kolumbien, um einen Freund und seine Familie zu besuchen. Salsa könne er nicht mehr hören, teilte er in einer E-Mail mit, sonst alles cool.

Wir waren immer noch zehn Leute. Ein Familientag, wie es sich gehört, hätte ich nicht die ganze Zeit neben mir gestanden. Alles glitt ein wenig ab, wie Wasser von einem Ölmantel. Schon die letzten Monate hatten nicht zu hundert Prozent mit mir zu tun, obwohl ich von außen gesehn die Hauptdarstellerin war in diesem meinem Leben.  Das sind die Medikamente. Vieles, was Angst macht, bleibt ausgesperrt. Manches andere auch.

Im neuen Jahr werde ich darauf verzichten. Nein, erstmal aufs Rauchen verzichten. Dann auf die Medikamente. Derweil funkelt der Christbaum hier mit goldenen Kugeln vor sich hin und versucht, den Raum mit dem göttlichen Entwurf von Liebe und Neubeginn zu füllen. Schön sieht er aus.

Driving home for Christmas

Ja so ist das, wenn man mit einem Briten zusammen lebt. Man sitzt am Heiligabend am Computer, tut Dinge, die man jeden Abend tut. Mir fehlt nichts. Man kann nicht morgens auf den Wochenmarkt hetzen, einen toten Truthahn durch die Straßen schleppen, letzte Geschenke aus menschenumwaberten Geschäften erobern, die Wohnung in Ordnung bringen, das Badezimmer putzen, den Menüplan durchgehen, vorkochen nach Möglichkeit, und dann am Abend entspannt vor dem Christbaum stehen und Weihnachtslieder singen. Nein. Die Kinder, das Essen, die Bescherung – das machen wir alles morgen. So ist es in England Tradition, und mir gefällt sie.

Die Gaben bringt freilich immer noch das Christkind, nicht Santa Claus. Wir hören uns auch nicht die Rede der Queen im Fernsehen an, wir tragen keine bunten Papierhüte und ziehen keine Knallbonbons. Auch vor Plumpudding bleibe ich dieses Jahr verschont, und wir haben keinen Mistelzweig in der Wohnung.

Was hierher und zu uns passt, entscheiden wir frei. Deshalb kann ich nach der überarbeiteten und hektischen letzten Zeit jetzt, in diesem Moment, während Chris Rea im Radio is driving home for Christmas, auch ankommen. Es ist Weihnachten. Schön.

Euch allen wünsche ich ein besinnliches, entspanntes Fest und fröhliche Feiertage!

Kartenspenden

England hat ja dieses Ding mit Weihnachtskarten. Familie, Freund, Nachbar – jeder schickt eine Weihnachtskarte. Es steht meist nur der Name und ein paar hingemalte Kreuzchen unter den eingedruckten guten Wünschen. Persönliche Worte finden sich in der Post von Verwandten auf der Insel kaum. Ein paar Karten haben wir bekommen, alle von Engländern, nur eine aus Deutschland. Die kam von der Bank.

Hinterher jedenfalls, nach dem Fest, lege ich die schönsten Exemplare in eine Schachtel und bewahre sie auf. In England aber gibt man sie: der Charity. Einer mildtätigen Organisation. Da fragt sich der verblüffte Deutsche, worin der Wert beschriebener und abgelaufener Weihnachtskarten liegen könnte. Der Engländer an meiner Seite – in der Regel weiß er auf alles eine Antwort – zieht auf meine Frage hin die Schultern hoch und furcht die Stirn. Es fällt ihm schwer zu sagen: „I don’t know.“ Also sagt er es auch nicht. Sondern wendet sich dem Büffet zu und arrangiert Weihnachtskarten.

 

Morgenstund ist ungesund

Gewöhnungsbedürftig ist es schon, einen toten Vogel mit fünf Kilo Gewicht schon vor dem Frühstück mal auf dem Rücken, mal auf der Seite und mal auf der Brust vor sich liegen zu haben. Aber die Haut musste mit Gewürzen eingerieben werden. Überall. Ich wusste gar nicht, dass Truthähne so lange Beine haben. Die sahen auch ohne Federn lebendig aus und ein bisschen hatte ich Angst, sie würden plötzlich aufstehn und davonrennen.

Grauslig war es, den Hals abzutrennen. Ich führ mal nicht weiter aus, an welches Körperteil am Männchen der Gattung Mensch er mich erinnerte, als ich ihn packte und das Messer ansetzte. Er ging dann auch nur schwer ab, der Hals. Vielleicht war ich zu erschrocken, denn solche martialischen Gedanken will man in der Früh nicht haben. Auch sonst nur selten.

Jedenfalls passte das Tier in den Ofen, wurde gegen Mittag knusprig und die Füllung nach einem Rezept aus dem 17. Jahrhundert duftete nach Thymian. Pastinaken, Kartoffeln und Rosenkohl wurden dann auch aufgefahren und wir hauten uns die Bäuche voll. Was übrig blieb, nahmen die Kinder mit, und ich konnte gerade noch einen Rest Fleisch und Füllung retten. Das gibts heute abend als Sandwich, mit Chutney, und Weihnachten ist gegessen.

Morgen wieder arbeiten.

Heiligabend

Ich sitze in der Kirchenbank und weiß nicht wohin mit meinen Gedanken. Es ist schwer anzudocken dort, wo ich bin und an dem, was ansteht: Weihnachten. „Du hast Schuld auf dich geladen,“ verkündet die Stimme des Priesters, „komm zu dem, der deine Schuld wegnimmt!“ Das kann ich nicht brauchen. Nie sind wir gut genug. Immerzu muss vergeben werden. Das hab ich jeden Tag bei der Arbeit.

Mein Herz pocht jetzt eingeklemmt gegen die Enge. Ich versuche die Atmung zu regulieren. Muskeln entspannen, sage ich mir. Nicht weinen. Es gibt keinen Grund. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf die Menschen neben mir: Der Liebste blättert im Liederbuch, die Kinder wispern sich Dinge zu und lachen leise. Alle am Leben, denke ich. Alle auf ihren Wegen, vielversprechende. Jetzt rollen Tränen über mein Gesicht. Nicht weil der Tod so nah war bei einem von ihnen, sondern weil er so nah ist bei jedem von uns.

„Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund,“ bittet die Gemeinschaft jetzt. Diesen Satz hab ich immer gemocht, und das Wort wird gesprochen. Heute jedenfalls. Meine Seele fühlt sich allmählich warm an, sie löst sich aus der Verkapselung, holt Luft. Mein Atem wird ruhiger. Ich spreche Gebete mit den andern und singe Lieder zu Weihnachten. Gott schütze uns.

Oh Joy…

Während die Installation eines Anti-Virenprogramms läuft, minutenlang, fällt mir auf einmal ein, dass in zwei Tagen Weihnachten ist. Man hat so selten Zeit, daran zu denken, aber meine Tochter rief heute an und teilte mit, dass sie morgen nach Hause kommt. Pünktlich zum Fest. Ich war der Meinung, das sei nächste Woche.

Wartend klicke ich gelegentlich auf „weiter“, da fällt mir der Vogel ein. Nach all den Jahren in der Fremde wünscht der Liebste sich nämlich ein Weihnachtsgericht aus seiner Heimat. Also haben wir Truthahn bestellt. Auf keinen Fall eine Babypute, bettelte die Tochter, das sei noch entsetzlicher als erwachsene Tiere zu essen, die wenigstens etwas vom Leben hatten. Nicht dass meine Tochter überhaupt etwas davon anrühren würde, sie ist Vegetarierin. Aber wir werden uns über einen erwachsenen Truthahn hermachen, vielleicht ein Teenager, kein Baby jedenfalls. Zum Glück sind wir viele Leute. Klick auf „Akzeptieren“.

Ich bin im Besitz eines Originalrezepts aus England und weiß, dass der Braten 4-5 Stunden im Ofen sein muss. Schaudernd verdränge ich, was zuvor passiert: die Füllung… Also die Füllung muss in das Tier rein. My Goodness. Das mach ich nicht. Der Liebste muss ran, war schließlich seine Idee. Armbanduhr vorher abmachen. „Fertigstellen“.

Wäre doch alles so einfach wie Anti-Virenprogramme installieren!

Wie ich zu meinem Weihnachtsgeschenk kam

Der Liebste hat einen Drucker gekauft. Wireless. Man klickt auf „Drucken“ und das Gerät beginnt zu rattern. Ohne Kabel. Ergriffen von der Vorstellung, wie Trillionen Pixel unsichtbar vom Computer zum Drucker wehen – auch wenn ich weiß, dass es irgendwie anders ist – las ich das Manual und befand: Hier finden ungeheuerliche Dinge statt. Ans Mobiltelefon hat sich meine Vorstellungswelt gewöhnt, aber ein kabelloser Drucker … Der Glaube an einen himmlischen Gott fällt mir leichter als solche Wunder zu begreifen.

Jedenfalls funktionierte es nicht. Der Liebste hockte nach dem Installieren der Software begeistert vor seinem Computer und der Drucker spuckte bunte Seiten aus. Wenn ich dagegen an meinem Laptop den unglaublichen Vorgang auslösen wollte, geschah nichts. Den Grund fand mein Liebster schnell: XP. Ach so. Mit XP kann es ja nicht gehn, wie ich jetzt weiß und nun befindet sich auf meinem Laptop nicht mehr XP, sondern Windows 7. Schon zwei Tagen später lief das Meiste wieder, und nun kann auch ich Druckvorgänge auslösen ohne Kabel. Der Hammer.

Freilich schnaufen meine Programme jetzt arg. Wenn ich den Taktstock hebe zum Einsatz, dauert es gefühlte Jahrtausende, bis sie in die Gänge kommen. Kein Wunder: Zu wenig RAM. Windows 7 braucht mehr RAM, erfahre ich. Das Weihnachtsgeschenk des Liebsten in diesem Jahr ist daher Arbeitsspeicher. Energieriegel für einen alten Laptop statt Ohrringe aus Rosenquarz. (Die Kette hab ich schon.)  Aber bald kommt ja mein Geburtstag.

Weihnachten fast wie immer

Gestern Nachmittag: „Thank you Lord“ tönt es aus dem Radio, im Weihnachtsprogramm werden Gospels gespielt. Ich suche eine Klassik-CD für die Bescherung, Päckchen schimmern unter dem Christbaum. Das größte Geschenk in diesem Jahr und eines der größten in meinem Leben lässt sich freilich nicht darunter legen.

Ich will nicht weinen, nicht traurig sein, merke aber, wie Tränen hochsteigen. „Thank you Lord, hallelujah,“ wird von einer schwarzen Sängerin vorgetragen, „you’ve been so good to me“. Ja. Gott ist gut zu mir. Auch dieses Jahr lässt er mich mit allen meinen Kindern den Heiligen Abend feiern. Beschützt von tausend Engeln wurde eins davon schwer verletzt aus einem Fahrzeug geschnitten und gerettet. Ein halbes Jahr später kehrt er aus der Klinik zurück, es liegt noch ein Stück Weg vor ihm und vor der ganzen Familie. Aber er lebt. Er kann wieder gehen, sein Gehirn erholt sich, wir haben ihn noch.

Dann tauchen Bilder auf und fressen sich fest. Mein Junge, verwundet, mit Kabeln und Schläuchen an piepsende Geräte angeschlossen, routinierte Pfleger und Ärzte, der Geruch nach Desinfektionsmitteln. Die Besuche in der Intensivstation einer 100 km entfernten Klinik, täglich, wochenlang. Wie ich funktionierte trotz allem, erst Monate später ließ die Kraft nach. Ich denke an die anderen Kinder und wie verstört sie waren, wie meine Tochter litt. Nichts konnte man tun, das war das Schwerste. Planen, steuern, Lösungen finden – alles blieb den Ärzten überlassen. Wir beteten und warteten: dass er zu sich kommt, dass er wieder alleine atmet, dass er uns erkennt, dass er aus seiner Welt der grauen Haie und armen Kanalratten zurückfindet zu uns. Dass er im Rollstuhl sitzen darf, dass er gehen lernt, dass er gesund wird. Wie gesund? Im Moment hoffen wir, dass sein Gedächtnis wieder besser funktioniert und dass der einst quirlige und mitteilsame junge Mann sich weniger in sich selbst zurückzieht. Später vielleicht, dass seine Knochen und Gelenke belastbarer werden. Dass er wieder arbeiten kann. Welche Arbeit? Kein Mensch weiß es.

Geräusche dringen vom Flur ins Wohnzimmer, junge Stimmen und das Rascheln von Taschen und Paketen. Die Kinder sind da. Wie immer atme ich auf, da sie heil angekommen sind. Die Panik abzustellen, wenn sie mit dem Auto unterwegs sind, fällt mir immer noch schwer. Schicksalsschläge treffen eben nicht nur die andern – es kann wieder geschehen, jeden Tag: einem anderen Kind, oder demselben noch einmal. Aber sie sind da, alle.

Nacheinander umarme ich sie und danke Gott, dass auch das verletzte Kind einen Platz im Leben behalten hat. Vielleicht einen anderen, als wir ursprünglich dachten, und wir kennen diesen Platz noch nicht. Erwartungen und Wünsche werde ich jedenfalls ablegen wie ein aus der Mode gekommenes Kleid. Ob mein aus dem vertrauten Leben geworfener Sohn auf denselben Gedanken kommt, kann ich nicht sagen.

Als Jacken und Kälte abgeschüttelt sind, zieht unsere kleine Prozession ins Weihnachtszimmer. Wir betrachten den Baum und die Meinungen darüber gehen auseinander wie immer. Alles nimmt seinen gewohnten Lauf: Kirche, Essen, Bescherung, Spielen, Beisammensein wie jedes Jahr. Gott sei Dank.

Weihnachten – wie es wirklich war

War es so?

Maria kam gelaufen
Josef kam geritten
Das Jesuskindlein war glücklich
Der Ochse erglänzte
Der Esel jubelte
Der Stern schnaufte
Die himmlischen Heerscharen lagen in der Krippe
Die Hirten wackelten mit den Ohren
Die Heiligen Drei Könige beteten
Alle standen daneben

Oder so?

Mario lag in der Krippe
Josef erglänzte
Das Jesuskindlein kam gelaufen
Der Ochse war glücklich
Der Esel stand daneben
Der Stern jubelte
Die himmlischen Heerscharen kamen geritten
Die Hirten schnauften
Die Heiligen Drei Könige wackelten mit den Ohren
Alle beteten

Oder so?

Maria schnaufte
Josef betete
Das Jesuskindlein stand daneben
Der Ochse kam gelaufen
Der Esel kam geritten
Der Stern lag in der Krippe
Die himmlischen Heerscharen wackelten mit den Ohren
Die Hirten erglänzten
Die Heiligen Drei Könige waren glücklich
Alle jubelten

Oder so?

Maria jubelte
Josef war glücklich
Das Jesuskindlein wackelte mit den Ohren
Der Ochse lag in der Krippe
Der Esel erglänzte
Der Stern betete
Die himmlischen Heerscharen standen daneben
Die Hirten kamen geritten
Die Heiligen Drei Könige kamen gelaufen
Alle schnauften

Oder etwa so?

Maria betete
Josef stand daneben
Das Jesuskindlein lag in der Krippe
Der Ochse schnaufte
Der Esel wackelte mit den Ohren
Der Stern erglänzte
Die himmlischen Heerscharen jubelten
Die Hirten kamen gelaufen
Die Heiligen Drei Könige kamen geritten
Alle waren glücklich

Ja, so.

(Franz Hohler)

Christkindlesmarkt

Kalt ist es. Sehr kalt. Den Glühwein muss man schnell trinken, sonst wird auch er kalt. Eine Bratwurst gehört dazu, die muss man schnell essen. Der letzte Rest ist meistens kalt.

Dampf über Wurst oder Dinnete, Dampf überm Glühwein, Dampf vor dem Mund: weiße Wölkchen in dunkle Kälte gemalt, wir wippen auf und nieder, um uns warm zu halten, und alles dampft ein bisschen. Wir schauen den Leuten zu, die dasselbe machen wie wir: Essen, trinken, Leute angucken. Die Stände gucken wir auch an, warmes Licht dringt aus ihnen und wir entdecken Sterne und Seifen, Schmuck und Wollenes, Holzgeschenke und Kerzen aller Macharten.

Natürlich trifft man immer jemanden. Welches Hallo jedes Mal, was für eine Freude! Manche habe ich lange nicht gesehn, andere erst gestern, egal. Jede Begegnung ein kleines Fest. Vielleicht, weil wir uns gerade auf dem Christkindlesmarkt noch nie gesehn haben; vielleicht, weil wir uns gegenseitig von der Kälte ablenken. Wir plaudern, albern, tupfen fröhlich die triefende Nase ab, wärmen mit behandschuhten Händen das Gesicht, lachen mit den Augen weiter.

So muss es sein. Sonst schmeckt der Glühwein nicht richtig.