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Dezember-Haiku

Schwarzes Baumgeäst
mit feiner Pulverschneeschicht
Wir brauchen Brennholz

Was ist ein Haiku?

Das Haiku ist eine japanische Gedichtform, die als kürzeste der Welt gilt. Sie besteht aus einem Vers aus 3 Zeilen mit einer vorgegebenen Anzahl von Silben. Im Deutschen sind es üblicherweise 17 Silben, die in der Anordnung 5/7/5 auf die Zeilen verteilt sein sollen. Es dürfen aber auch weniger Silben sein.

Meist handelt es sich um konkret beschriebene Momentaufnahmen aus der Natur, Gefühle kommen nicht vor. Das Gedicht bleibt offen, der Leser fügt die Geschichte und damit verbundene Emotionen selbst zusammen.

Neulich beim Spazierengehn

Anstatt zu rauchen geh ich jetzt gern an die Luft. Ich stiefle ruhige Straßen entlang, atme knisternde Winterluft und blinzle in die kalte, gleißende Sonne. Durch meine Adern wird Blut gepumpt, als würden rostige Leitungen durchgespült mit frischem, heißem Wasser. Dick verpackt in Wollmantel und Strickmütze steuere ich auf den Waldrand zu. Die Finger brennen jetzt in den Flieshandschuhen, der Atem dampft, ich schreite aus und komme ohne weiteres den Hang hinauf. Gut, dass ich diesem sprudelnden Körper nicht mehr den Hahn abdrehen muss. Bei solchen Spaziergängen würde ich nicht mehr rauchen wollen, aber das wollte ich auch früher nicht und tat es doch. Jetzt bin ich glücklich, Nichtraucher zu sein.

Vom Himmel hoch

Die Wiesen werden gerade zu Seen bei uns. Soviel Regen stürzte nieder, dass der Boden nein sagt und keinen Tropfen mehr hereinlassen will. Bleib ich eben an der Oberfläche, wird der Regen sich gedacht haben, im Erdinnern ist es eh immer das Gleiche.

An einem dieser Gewässer sah ich gestern vier Schwäne. Wo die wohl herkamen? Sie wateten am Rand entlang und schienen zu rätseln, ob sie sich verflogen haben oder der See vom Himmel gefallen war. Genau das, Herr Schwan. Genau das.

Über Nacht ist die Landschaft weiß geworden, die Seen sind immer noch da. Schwäne auch, und ein paar kleine weiße Entlein oder sonstiges Gefieder sind heute dazu gekommen. Die schwammen in der Ferne seelenruhig auf dem Wasser und suchten wohl nach ersoffenen Würmern.

Die Zurückgelassenen

Bei meiner Mutter stapeln sich Kartons mit Büchern. Sie wird sie nicht mitnehmen in die neue Wohnung. Ich besitze selbst viele Bücher, wie Geliebte, Freunde oder Bekannte erzählen sie davon, was irgendwann einmal Bedeutung hatte für mich und niemals will ich mich von ihnen trennen. Ich glaube, so dachte meine Mutter einst auch. Es zieht mir die Seele zusammen beim Gedanken an all diese Schachteln und dass die Bücher darin nicht mehr zu meiner Mutter gehören dürfen. Romane, Gedichte, Rezepte, Kunst, von Simmel bis Kaffka ist alles da. Für alle habe ich leider nicht den Platz, aber immer wieder fische ich das eine oder andere heraus, um es zu retten.

Eins davon habe ich gerade gelesen, „Zwei alte Frauen“ von Velma Wallis. Es handelt von einem Nomadenstamm in Alaska, lange bevor die Zivilisation kam mit Autos und TV-Geräten. Zu jener Zeit fanden die Menschen in besonders langen Wintern nichts mehr zu essen, sie starben an Entkräftung und Hoffnungslosigkeit. So mussten die Häuptlinge von Zeit zu Zeit eine fürchterliche Entscheidung treffen: Sie trennten sich von den Alten. Zum einen, weil sie nutzlose Esser waren, zum andern vielleicht dargebracht als Opfer an Geister, die in die hungernden Menschen gedrungen waren und sie wild und unberechenbar werden ließen.

Der Stamm zog weiter und war einen Moment lang erleichtert darüber, besser dran zu sein als zwei alten Frauen, die zurückgelassen wurden. Doch statt sich mit indianischem Stolz ihrem Schicksal zu ergeben, weinten die Frauen, verzagten, sie barsten vor Wut auf jene, die ihnen das antaten. Wir erfahren vom eisigen Weg, der vor ihnen liegt, von Angst und der Entschlossenheit, ihn zu gehen. Das Buch ist eine Geschichte von Grenzen und wie man sie hinter sich lässt.

Meine Mutter zeigt auf ein weiteres Fach, in dem Bücher stehn, und noch eins und noch eins.  Früher erwarb sie ein Buch nach dem andern und gelegentlich meinte sie: „Was ich jetzt nicht lese, lese ich später. Wenn ich in Rente bin, ist genug Zeit.“ Und sie hat viel gelesen seither, aber auch vor ihrer Pensionierung, immer schon. Jetzt liest sie nicht mehr. Ihre Gedanken zusammen zu halten bei längeren Texten ist anstrengend geworden für sie. Buch um Buch ziehe ich aus dem Schrank und reiche es meiner Mutter. Ungerührt versenkt sie jedes einzelne in einem Karton. Ich weiß noch nicht was tun mit ihnen, schaurig, sie einfach wegzugeben.

Das erste Kalendertürchen

Das erste Kalendertürchen ist gar kein Kalendertürchen, sondern zwei Seiten in einem Buch. Meine Mutter hat es mir geschenkt. In der Vorweihnachtszeit werde ich ja immer kindisch, fast jedes Jahr habe ich einen Adventskalender. In diesem Jahr gibt es statt Bildchen also Geschichten, und in der ersten geht es um eine Frau, Mitte Vierzig, und ihren Adventskalender. Hinter den Türchen verbergen sich  flach gepresste Tannen, Päckchen, Hasen und Schlitten aus billiger Schokololade, die schmeckt, als wäre sie vom letzten Osterfest übrig geblieben. Sie schiebt das erste Stückchen in den Mund, schließt die Augen und lässt die Schokolade auf der Zunge zerfließen. Jetzt ist die Adventszeit wirklich da.

Jeden Tag eine kleine Freude: ein Bild, ein Spruch, ein Gedankensprung zur Schönheit des Daseins. Eigentlich sollte es das ganze Jahr solche  Kalender geben.

Kerzenquartett