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Das Irina-Konzept

Morgens im Büro: Ich habe Irina etwas auf den Tisch gelegt und warte, dass sie es abzeichnet, damit ich das Dokument gleich wieder mitnehmen kann.
„Hey“, sagt sie, „was bist du so hektisch? Du siehst mich gar nicht an!“ Jetzt sehe ich sie an – perplex. Sie lacht. „Ihr Deutschen … immer arbeiten, immer in Eile, aber die Kollegen sind doch auch da.
„Irina,“ ich lege den Arm um sie, drücke sie ein wenig, wir mögen uns, „ich komme hierher zum Arbeiten und nicht, um Kollegen anzuschauen!“
„Aber du musst auch die Menschen sehn. Nicht nur Arbeit.“
Dann betrachtet sie meinen funkelnden Fingerring und wir reden ein wenig über Schmuck. Ich wage nicht wegzulaufen, obwohl mein Schreibtisch voll ist. Erst als es um ihre perfekt gepflegten, korallenroten Fingernägel geht und sie auch meine lackieren will, jetzt und hier – den Nagellack hat sie offenbar in der Handtasche – mache ich mich lachend aus dem Staub.

Irina stammt aus Russland und sie klagt oft, dass ihr die Arbeit über den Kopf wächst. Trotzdem findet sie immer wieder Zeit, mit Kollegen, Dozenten und Kursteilnehmern ein Schwätzchen zu halten. Dann ruft sie gutgelaunt „Chaallo, wie warr dein Urlaub“, lacht ihr zwitscherndes Lachen und die um sie herumstehenden Leute scheinen ihre besten Freunde zu sein.

Ich glaube, diese Plaudereien sind für sie Teil ihrer Arbeit. Der Schmierstoff sozusagen. Der Respekt, das Interesse, die Wertschätzung.

Wir Deutschen machen das anders. Ich weiß jetzt grad nicht genau wie, anders eben, und vielleicht manchmal auch gar nicht, aber wir kriegen mehr geschafft.

Wer hat Recht?