Ansichtssache

In der Bäckerei um die Ecke arbeiten manchmal fesche junge Männer aus afrikanischen und arabischen Staaten. Es sind Aushilfen oder Praktikanten, deshalb geht es mit dem Bedienen meist nicht so schnell. Man sollte auch deutlich sprechen, um verstanden zu werden, aber alle sind fleißig, motiviert und augenscheinlich mit Freude bei der Sache. Was sind da schon zwei Minuten länger, denke ich jedes Mal und: Bravo. So funktioniert Integration. Wann immer es möglich ist, kaufe ich mein Brot in dieser Bäckerei.

Heute auch. Diesmal steht aber nicht der hübsche Gambier hinter der Theke, sondern eine füllige, blasse junge Frau mit dünnem Haar. Dem Namensschild nach stammt sie aus Osteuropa. Ich sage meine Bestellung auf und sie schaut mich mit flatterndem Blick an, sucht bei den Backwaren, eine Stamm-Verkäuferin wird hinzugerufen. Ich drehe meinen Geldschein hin und her und ertappe mich dabei, ungeduldig zu werden. Im nächsten Moment könnt ich mich watschen dafür, ich erschrecke über mich selbst. So funktioniert Integration nicht.

Passiert es euch auch manchmal, dass ihr mit zweierlei Maß messt?

 

22 Gedanken zu „Ansichtssache

  1. Zoé

    Ja, das kenne ich auch. Mir hilft es ja immer sehr, wenn jemand anderes lästert oder meckert. Dann kann ich anderer Meinung sein 😉 Auf die Weise habe ich schon extrem langsamen, unaufmerksamen Kellnern 3 Euro Trinkgeld gegeben, weil sie am Nachbartisch 5 Cent bekamen.

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      1. Zoé

        Das kann sein, allerdings war mir das Ehepaar schon vorher aufgefallen, weil der Mann seiner Frau die gesamte Speisekarte vorrechnete: bei dem Salat sind noch Pilze dabei und dann ist er gleich 3 € teurer usw.

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        1. Anhora Autor

          Ohgottle … ich hoffe es waren keine Schwaben. ;-(
          Und jedenfalls hätte ich mich in diesem Fall auch aufgerufen gefühlt, die entgangene Einnahme des Kellners „irgendwie“ auszugleichen und nicht so zu handeln wie sonst üblich. Vielleicht spielt auch das spontan aufgetretene Glücksgefühl mit, dass man mit einem solchen Menschen nicht zusammenleben muss. 😉

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    1. Anhora Autor

      Es ist wohl menschlich, dass man andere wegen Eile/schlechte Laune/sonstwas manchmal etwas unfair behandelt. Die können ja nichts dafür, aber solange es nicht ausufert, ist es wahrscheinlich akzeptabel.

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  2. Hausfrau Hanna

    Ich ertappe mich,
    liebe Anhora,
    manchmal auch…
    Wobei es eher mit meiner aktuellen Situation/Befindlichkeit zu tun hat: Bin ich ausgeglichen, ruhig iund habe Zeit, macht es mir nichts aus.
    Sonst jedoch… hörst du meinen Seufzer?

    Liebes Grüssle und hab ein gutes, ein ruhiges Wochenende! 🙂
    Hausfrau Hanna

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    1. Anhora Autor

      Nach all den Rückmeldungen hier wird mir klar, dass es in der Natur des Menschen zu liegen scheint: Wir beurteilen Menschen vor dem Hintergrund, wie wir selbst gerade drauf sind, oder wie andere gerade drauf sind. Tröstlich zu wissen, dass das bei vielen Menschen so ist. Ich möchte trotzdem nicht mehr nach dem Äußeren gehen. Dachte, das hätte ich längst hinter mir …
      Zerknirschtes Grüßle und hab auch du ein wunderschönes Wochenende!

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  3. Geschichten und Meer

    Ja, und ich rufe mich dann immer ganz schnell zur Ordnung. Vorurteile sind vermutlich normal, aber man sollte einen kühlen Kopf bewahren und sie bei sich selbst erkennen, sage ich mir immer wieder.

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    1. Anhora Autor

      Die schlimmsten Vorurteile sind wohl die, derer man sich gar nicht bewusst ist. Ich jedenfalls hielt mich bisher für einen aufrechten Charakter, sozial, fair. Und dann mach ich meine Einschätzung vom attraktiven oder weniger attraktiven Äußeren der anderen abhängig. 😦
      Ich werd mich bessern, ich versprechs. 🙂

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  4. Tanja im Norden

    Hm. Ich glaube in Situationen wie dieser hängt es mehr an mir, wie ich gerade reagiere. Wenn ich abends nach Hause will und Hunger habe, bin ich ungeduldig, ich glaube das hat wenig mit der Person zu tun, die mir gegenüber steht (auch wenn das diesem Menschen gegenüber natürlich unfair ist). Bin ich entspannt und ausgeglichen, dann kann ich das Warten auch aushalten.
    Aber es ist dabei wichtig, dass die Person signalisiert, dass sie sich bemüht. Neulich war beim Bäcker jemand, der noch halb auf sein Telefon schielte, und es partout nicht hinbekam, den richtigen Preis für die Brötchen in die Kasse zu tippen. Da hat es meine Verärgerung nicht gedämpft, dass er ein Schildchen trug, dass ihn als neuen Azubi auswies.

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    1. Anhora Autor

      Das ist eine weitere Variante des Messens mit zweierlei Maß: Man ist nicht immer in derselben Verfassung und reagiert auf andere deshalb unterschiedlich. Das geht wohl allen manchmal so.
      Aber dass eine Reaktion auf andere davon abhängig ist, ob es sich z.B. um hübsche junge Männer oder eine weniger ansehnliche junge Frau handelt – dafür schäme ich mich in aller Form. Solchermaßen sensibilisiert hoffe ich, dass es nie wieder vorkommt! 🙂

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