Sie hängt am Handy,
den ganzen Tag,
tippt wie wild
und lächelt.
Die Mutter ist sicher:
Sie ist verliebt.
Ist sie aber nicht.
Sondern die
beste Freundin.
Archiv der Kategorie: Gedichte
Buch des Lebens
Zerstoben sind die Wolkenmassen
Zerstoben sind die Wolkenmassen,
Die Morgensonn’ ins Fenster scheint:
Nun kann ich wieder mal nicht fassen,
Dass ich die Nacht hindurch geweint.
Dahin ist alles, was mich drückte,
Das Aug‘ ist klar, der Sinn ist frei,
Und was nur je mein Herz entzückte,
Tanzt wieder, lachend, mir vorbei.
Es grüßt, es nickt; ich steh‘ betroffen,
Geblendet schier von all dem Licht:
Das alte, liebe, böse Hoffen –
Die Seele lässt es einmal nicht.
Theodor Fontane
Und was sehr ihr so, wenn ihr aus dem Fenster schaut?
Ich wünsche euch allen einen schönen Sonntag!
Vorfrühling
Vorfrühling
Härte schwand. Auf einmal legt sich Schonung
an der Wiesen aufgedecktes Grau.
Kleine Wasser ändern die Betonung.
Zärtlichkeiten, ungenau,
greifen nach der Erde aus dem Raum.
Wege gehen weit ins Land und zeigens.
Unvermutet siehst du seines Steigens
Ausdruck in dem leeren Baum.
Rainer Maria Rilke
Ich wünsche euch allen einen schönen,
vorfrühlinghaften Sonntag!
Die Selbstkritik hat viel für sich
Die Selbstkritik hat viel für sich.
Gesetzt den Fall, ich tadle mich:
So hab ich erstens den Gewinn,
Dass ich so hübsch bescheiden bin;
Zum zweiten denken sich die Leut,
Der Mann ist lauter Redlichkeit;
Auch schnapp ich drittens diesen Bissen
Vorweg den andern Kritiküssen;
Und viertens hoff ich außerdem
Auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es denn zuletzt heraus,
Dass ich ein ganz famoses Haus.
Wilhelm Busch
Beschränkung
Kannst Du das Schönste nicht erringen,
so mag das Gute Dir gelingen.
Ist nicht der große Garten Dein,
wird doch ein Blümchen für Dich sein.
Nach Großem drängts Dich in der Seele?
Dass sie im Kleinen nur nicht fehle!
Tu heute recht – so ziemt es Dir;
der Tag kommt, der Dich lohnt dafür !
So geht es Tag für Tag; doch eben
aus Tagen, Freund, besteht das Leben.
Gar viele sind, die das vergessen;
man muss es nicht nach Jahren messen.
Eduard von Bauernfeld
In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein neues Jahr, in dem wir trotz verhüllter Gesichter, Abstandsmessungen und exzessivem Händewaschen, trotz aller Einschränkungen und Ängste an jedem einzelnen Tag das Schöne entdecken.
Machen wir ein gutes Jahr daraus.
Eure Anhora
.
Bild: Wegweiser zum „Dorf über den Engelelochweg, Benutzung auf eigene Gefahr“ bei Ravensburg, (c) Anhora
Auf einer Meierei
Auf einer Meierei,
da war einmal ein braves Huhn
das legte, wie die Hühner tun
an jedem Tag ein Ei
und kakelte, mirakelte
mirakelte, spektakelte
spektakelte, mirakelte
als ob´s ein Wunder sei
Es war ein Teich dabei.
Darin ein braver Karpfen saß,
der stillvergnügt sein Futter fraß,
der hörte das Geschrei,
wie’s kakelte, mirakelte,
mirakelte, spektakelte,
spektakelte, mirakelte,
als ob’s ein Wunder sei.
Da sprach der Karpfen: „Ei!
Alljährlich leg ich ’ne Million
und rühm mich des mit keinem Ton.
Wenn ich um jedes Ei
so kakelte, mirakelte,
mirakelte, spektakelte,
spektakelte, mirakelte,
was gäb’s für ein Geschrei!“
Heinrich Seidel
Bild von Capri23auto auf Pixabay
Haiku
Wie mit den Lebenszeiten
Noch eine Art News-Update!
Die Welt ist allezeit schön
Im Frühling prangt die schöne Welt
In einem fast smaragdnen Schein.
(Was für ein langweiliges Gedicht)
Im Sommer glänzt das reife Feld
Und scheint dem Golde gleich zu sein.
Im Herbste sieht man als Opalen …
Ich hör schon auf, den Rest kann man sich sparen.
Aber der letzte Vers bleibt bei mir hängen:
… wenn wir die Welt aufmerksam sehn,
Ist sie zu allen Zeiten schön.
Mist. Warum vergess ich das immer?
Und so fiel mir der heutige Abend ein, als ich völlig jahreszeitenunabhängig ein schnelles Essen zubereitet hatte (die abgekochten Nudeln von gestern mit Ei und Schnittlauch) und, da der geliebte Brite nicht da war, mit meinem Teller aufs Sofa gesunken war vor den laufenden Fernseher, wo ich es mir schmecken ließ.
Bisschen kulturlos aber – Mann, das war gut.
Solche Momente sollten nicht untergehen im alltäglichen Irrsinn.
Und was hat es bei euch heute Schönes gegeben?
Wen das Gedicht doch interessiert:
Im Frühling prangt die schöne Welt
In einem fast smaragdnen Schein.
Im Sommer glänzt das reife Feld
Und scheint dem Golde gleich zu sein.
Im Herbste sieht man als Opalen
Der Bäume bunte Blätter strahlen.
Im Winter schmückt ein Schein, wie Diamant
Und reines Silber, Flut und Land.
Ja kurz, wenn wir die Welt aufmerksam sehn,
Ist sie zu allen Zeiten schön
Barthold Heinrich Brockes
Grenzposten
Meeres Stille
Tiefe Stille herrscht im Wasser,
Ohne Regung ruht das Meer,
Und bekümmert sieht der Fischer
Glatte Flächen ringsumher.
Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich.
In der ungeheuern Weite
Reget keine Welle sich.Johann Wolfgang von Goethe
Der Zufall (?) will es, dass ich kurz nach dem plötzlichen Tod eines Kollegen auf dieses Gedicht stieß. Seither lese ich es jeden Tag und verstehe das Meer hier als Sinnbild des Lebens. Vielleicht fühlt man sich wie der Fischer, wenn man hinübergegangen ist.
Urlaub im Urwald
Juni-Gedicht
Der Hardy-Baum
Auf unseren Friedhöfen werden Gräber meist nach zwanzig Jahren entfernt, wenn nicht gerade VIP-Stars darin liegen. In anderen Ländern ist das nicht so.
In London z.B. gibt es den Friedhof St. Pancras, von dem vor etwa zweihundert Jahren ein Teil für den Bau der Midland Railways Line benötigt wurde. Obwohl die Gräber im fraglichen Bereich schon hundert oder zweihundert Jahre alt und zum Teil wohl auch vergessen waren, wäre es respektlos gewesen, die Überreste einfach zu entsorgen. Also wurden sie ausgegraben und an anderer Stelle unter einer Esche wieder bestattet. Die Grabsteine wurden um den Baum herum angeordnet, wo sie im Lauf der Jahre zum Teil überwachsen wurden.
Projektleiter dieser Umsiedlung war der Dichter Thomas Hardy (1840-1928), der in jungen Jahren als Architekt arbeitete, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Inspiriert von seiner gruseligen Aufgabe verfasste er das folgende Gedicht:
The Levelled Churchyard
O passenger, pray list and catch
Our sighs and piteous groans,
Half stifled in this jumbled patch
Of wrenched memorial stones!
We late-lamented, resting here,
Are mixed to human jam,
And each to each exclaims in fear,
‚I know not which I am!’
Der planierte Friedhof
Oh Wanderer, sieh nur und hör
unser Seufzen und klagendes Stöhnen
das halb erstickt aus Gewirren
entrissener Grabsteine dringt!
Gott hab uns selig, wir liegen zu
menschlicher Pampe vermengt,
und einer ruft ängstlich dem anderen zu
Ich weiß nicht mehr, wer ich bin!“
© Anhora
Die Übersetzung entspricht nicht genau dem englischen Text, klingt aber besser als eine wörtliche Übertragung. Mehr dazu auf www.kuriositas.com.
Limerick
Ein Mann aus dem Raum Torkenweiler
fand einst ein Problem am Verteiler.
Das störte ihn sehr,
im dicksten Verkehr
fuhr nämlich
sein Auto nicht weiter.
© Anhora
Der Mann ist mir übrigens persönlich bekannt und dem Fahrzeug geht es ausgezeichnet. Schon weil es mit Diesel fährt und gar keinen Verteiler hat, ich brauchte das Problem nur wegen des Reims.
Mit diesem Limerick gewinne ich natürlich keinen Preis, dafür ist er juristisch gesehen einwandfrei und beleidigt ist auch niemand. Das wäre nämlich nicht mein Stil. Ich knoble einfach gerne, und Gedichte sind eine tolle Möglichkeit dazu. Limericks stammen übrigens aus England oder Irland (genau weiß man es nicht), haben eine bestimmte Versform und eine witzige Pointe.
Könner schreiben Limericks so.
Nicht so.
Solchermaßen eingestimmt begeben wir uns demnächst ins große Britannien, um der Heimat des Geliebten wieder einmal guten Tag zu sagen. See you!
Auferstehung
ihr fragt
wie ist
die auferstehung der toten?
ich weiß es nicht
ihr fragt
wann ist
die auferstehung der toten?
ich weiß es nicht
ihr fragt
gibt’s
eine auferstehung der toten?
ich weiß es nicht
ihr fragt
gibt’s keine auferstehung der toten?
ich weiß es nicht
ich weiß
nur
wonach ihr nicht fragt:
die auferstehung derer die leben
ich weiß
nur
wozu Er uns ruft:
zur auferstehung heute und jetzt
kurt marti
(Schweizer Pfarrer und Schriftsteller)
Wie geht das
Wie geht das
in sich gehen
sich lösen aus Lähmendem
den Dingen ihren Lauf lassen
im Leisegang abwarten lernen
bis wieder aufblüht
was unter dem Winter gelegen
Als ich dieses Gedicht fand, dachte ich an meine Freundin Sylvia.
Silvester
Abb.: © Ursula Holly