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Alltag Reloaded

In der Regel bewegt sich der Mensch Tag für Tag zwischen zwei Orten hin und her: dem Zuhause und der Arbeitsstelle. Ich mache das nicht. Ich bleibe jetzt immer zu Hause, tue aber alles, dass es sich wie Arbeiten anfühlt: Ich stehe früh auf, setze mich an den Schreibtisch, wenn Übersetzungsaufträge kommen, räume ansonsten ein Zimmer nach dem andern aus und wieder ein, damit alles sauber und ordentlich ist. Das muss schon sein, ich bin ja gerade erst eingezogen.

Außerdem habe ich Zeit. Danach sehnen sich alle, ich Glückskind. Gestattet mir aber den Hinweis, dass viel Zeit mit wenig Geld einhergeht, wenn eine derart freie Tagesplanung damit zu tun hat, dass man „dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht“. Gestattet mir den zweiten Hinweis, dass eine Arbeitsstelle nicht nur eine Einnahmequelle ist, sondern auch ein Gerüst, an dem Rosen hochklettern und die Zwischenräume mit Blüten und Blättern füllen: also strikt einzuhaltende Vorgaben zum täglichen Handeln, aber auch der gelungene Arbeitsschritt, das nette Wort, der Spaß in der Kaffeepause. Das Gerüst zu Hause ist dagegen dünn, wackelig, und höchstens ein paar magere Trichterwinden versuchen, daran hochzukommen.

Jetzt brauche ich Freunde. Zum Reden, zum Lachen. Glücklicherweise habe ich sie.
Und euch, mit denen ich das Eine oder Andere teilen kann.
DANKE!

Bregenz_Pfaender

Platz frei

Gestern habe ich

– zum letzten Mal vor der Hochschule geparkt
– zum letzten Mal in einem Büro darin den Computer hochgefahren
– zum letzten Mal dort eine Tasse Kaffee getrunken
– zum letzten Mal mit den Kollegen gequatscht und herumgealbert
– zum letzten Mal den Computer ausgeschalten
– zum ersten Mal geheult, als ich die Ausgangstür aufdrückte und das Gebäude verließ.

Danach ging ich zum Friedhof. Die Pflanzen auf dem Grab meiner Mutter blühen immer noch üppig und ich zog – nach fast drei Monaten – die Trauerbänder aus den Schalen. Die Sonne ließ die Umrisse der Bäume, die weiter vorne am Weg entlang eine Arkade formen, zu einem Lichtkranz aufleuchten. Darunter blieb es trüb, und aus dieser Düsternis heraus tauchte ein Mann auf. Er trug einen schwarzen Mantel und hielt mit starrer Geste ein Holzkreuz in die Höhe. Mehrere dunkel gekleidete Menschen folgten ihm, der kleine Zug kam mir langsam entgegen. Mich schauderte, ein scharfer Wind blies mir die Haare aus dem Gesicht, die Sonne wärmt nicht mehr. Ich zupfte noch ein paar trockene Blättchen ab und machte mich auf den den Heimweg.

Meertau hat kürzlich in einem Kommentar etwas Mutmachendes geschrieben: „Ich bin nicht mehr die, die ich mal war. Wer ich mal werde, weiß ich noch nicht. Aber der Platz für mich ist schon frei.“

 

Wolken (2)

Abb. © SylviaWaldfrau Weiterlesen

Pragmatisch, klassisch, gut

Das wünscht sich jeder: Im Outlook-Kalender steht: „Bewerbungsgespräche“, und man wird auf der anderen Seite sitzen. Auf der entspannten. Wir brauchen nämlich zwei weitere Mitarbeiter in unserem Team, und ich gehöre zu einer Kommission aus sechs Leuten, um die armen Kandidaten einzuschüchtern: Vorgesetzter, Abteilungsleiterin, Personalreferent, Frauenbeauftragte, Schwerbehindertenbeauftragter, und ich. Die künftige Kollegin.

Nacheinander nehmen vier junge Leute und eine Mittvierzigerin auf dem Bewerberstuhl Platz. Alle sind qualifiziert und ich hatte erwartet, dass auch alle „irgendwie gleich“ auftreten, wie man es eben lernt in den Karrieretipps im Internet oder in den Broschüren vom Arbeitsamt. Tatsächlich ist aber die eine zu schüchtern, der andere flapsig, die dritte unvorbereitet, der vierte ein Selbstdarsteller. Und dann kommt ein junger Mann, frisch gebügelt im Anzügle und mit Krawatte an diesem heißen Sommertag, und der schaut uns konzentriert an, antwortet pragmatisch, weiß, worauf es ankommt und verzichtet auf Eigenreklame. Vor uns sitzt ein intelligenter Erwachsener mit einem Jungengesicht. (Süß!). Den nehmen wir.

Und natürlich den klaren Sieger der Veranstaltung: Was Fachwissen und Auftreten betrifft, kann der „älteren Dame“ niemand das Wasser reichen. Kompetent, lebendig, schnörkellos. Eine Frau, die weiß was sie kann, was sie will und die keine weitere Aufmachung braucht. Hundert Punkte für Qualitäten, die auch heute noch Bestand und mit dem Alter nichts zu tun haben.

Rechen- und andere Aufgaben

Ich bin in einen dunklen, holzgetäfelten Speiseraum geführt worden und nehme an einem langen Tisch Platz. Man erklärt mir, dass in der Früh beim Vorbereiten der Lunchpakete zu helfen sei, ansonsten handle es sich bei der Stelle um das Entgegennehmen von Reservierungen, Check-in, Check-out, oder mal eine Glühbirne auswechseln. Das traue ich mir zu. An der Rezeption einer Jugendherberge kann man wenig falsch machen, mit den Lunchpaketen schon gar nicht. Eine nette Tätigkeit, stundenweise, ohne blutspeiende Höllenhunde vor dem Schreibtisch. Hoffe ich.

Die Leiterin, eine hagere Frau in grünem Sommerkleid, schließt nun ihre Mappe und wirft mir einen fragenden Blick zu. „Könnten Sie sich das vorstellen?“ An die Schichtarbeit würde ich mich gewöhnen müssen, aber arbeiten im frischen Wind von jungen Menschen? „Ja, es wäre schön, wenn es klappt.“

Zu Hause wirbeln wilde Kalkulationen durch meinen Kopf. Wie kann ich genug Geld zusammen bringen? Ich bräuchte in größerem Umfang Übersetzungen oder etwas anderes, um leben zu können. Finde ich Möglichkeiten? Und wird bei so geringem Verdienst später einmal meine Rente reichen? Ein Jahr ist es her, dass ich aus dem Jobkarrussel ausgestiegen bin oder besser herausgeschleudert wurde. Bis dahin war ich ein gutes Einkommen gewöhnt. Was sich jetzt anbahnt, ist mir völlig neu. Ohne den vollen Einsatz im Beruf gerät man leicht in eine Abwärtsspirale.

Einstellungssache – II

Schade um das Essen. Die Fleischscheibe, die ich mir in der Küche eines Sternekochs vor ein paar Tagen auf den Teller legte, zerging auf der Zunge, ein fantastisch zarter Gaumenkuss mit Meerrettichsoße, etwas so Feines habe ich lange nicht bekommen. Das Personal zahlt hier einen geringen Monatsbetrag und kann sich dann nehmen, was das Haus zu bieten hat. Jeden Tag essen in einem Spitzenrestaurant, das wär schon was gewesen! Dennoch entschied ich mich dagegen.

Dabei machte der Probetag richtig Spaß. Im dazugehörenden Hotel spazierten Geschäftsleute hin und her, Amerikaner vor allem, spannend. Sympathische Mitarbeiter wuselten herum wie in einem Ameisennest, es wurde gerufen, gelacht, gelärmt, auf vornehme Zimmerlautstärke heruntergedreht, wenn ein Gast in der Nähe war. Die Anmeldung duckt sich ein wenig zerschrammt in eine Nische, wir befinden uns in einem fast tausend Jahre alten Gebäude. Es ist natürlich aufgefrischt worden, aber so hochglanzpoliert und leblos wie viele moderne Häuser kann es nie sein, man findet Spuren eines langen Daseins. Ich mag das. Ein kleines Familienunternehmen hat es hier jedenfalls geschafft, zu einer großen Adresse zu werden, und es sucht jemanden für den Empfang.

An die Schichtarbeit hätte ich mich gewöhnen müssen, und nein, Geld gibts auch nicht viel. Gastronomie eben. Aber wenn man sich am Arbeitsplatz fühlt wie ein Fisch im Wasser, dann verschwimmt mancher Einwand. Trotzdem werde ich hier nicht arbeiten, denn heute traf ich einen Freund, der die Inhaber kennt. Er bestätigte, was ich von anderen Quellen schon weiß: Man wird hier nicht gut behandelt. Überhaupt nicht gut.

Es ist schwer, so etwas ernst zu nehmen, wenn man sich in eine Stelle verliebt hat und Ausflüchte sucht: irgendwas ist überall. Ich weiß doch, was ich kann, und ich werde mich behaupten, bin schließlich ein Profi, der Job ist es wert. In diese Falle tappte ich vor drei Jahren schon einmal. Ich hatte bei einer neuen Stelle dieselben Warnungen erhalten, sagte trotzdem zu und heute weiß ich nicht mehr, was ich kann und ob ich überhaupt etwas kann, und ein Profi bin ich auch nicht mehr. Das ist kein Job wert.

Verflixt. Es ist trotzdem schwer, sich von einer Möglichkeit zu verabschieden, bevor man sie richtig kennt. Aber … nein. Ich werde dort nicht arbeiten.

Einstellungssache

Eine Asiatin betritt den Raum. Die Übersetzerin einer exotischen Sprache, ist mein erster Gedanke, schwer zu finden und teuer. Es ist aber die Reinemachefrau, die jetzt einen Eimer abstellt, und ich befinde mich in keiner Sprachagentur, sondern in einem Industriebetrieb im Vorzimmer des Geschäftsleiters. Seine Assistentin hat mir an ihrem Schreibtisch Platz gemacht. Die junge Frau, die bald Mutter wird, schiebt einen Apfelschnitz in den Mund, zerrt den Papierkorb aus der Ecke und fährt fort, mir eine Verzeichnisstruktur zu erläutern. Vielleicht werde ich ihre Nachfolgerin. Ich bin hier bei einem Probe-Arbeitstag, weil es so schwer ist, vom Übersetzen zu leben.

Die Asiatin kommt näher, ein kurzer Blick huscht zu mir, weil sie mich noch nie gesehen hat. Ich lächle ihr zu und hebe einen Papierstapel hoch, während sie mit einem Tuch auf der Tischplatte herumwedelt. Sie lächelt unsicher zurück, leert dann hastig den Papierkorb und macht sich auf leisen Sohlen davon. Vielleicht hat auch sie sich Manches anders vorgestellt. Das Leben ist kein Ponyhof.

Neulich bei Edeka

Ich schiebe den Einkaufswagen zur Kasse, stütze mich gemütlich auf den Handlauf und warte in Ruhe, bis ich an der Reihe bin, da rüttelt mich jemand am Arm. „Ja hallo, du hier?“ Eine ehemalige Kollegin von früher, von viel früher, steht da wie frisch gebügelt. Sie habe gerade Mittagspause und sei kurz hier vorbeigehuscht, sollte schon wieder bei der Arbeit sein, viel zu tun, aber find mal einen Parkplatz usw. Ich lasse sie vor. „Oh danke, das ist lieb, wirklich.“ Mehr fällt uns nicht ein, was zu bereden wäre, wir verabschieden uns. Da dreht sie sich noch einmal um: „Hast du heute frei?“

Nein, habe ich nicht. „Ja!“ rufe ich hinterher und zeige grinsend mit den Daumen nach oben. Es ist ja Pfingstzeit. Glaubwürdig genug. Wenn sie mich zum zweiten oder dritten Mal erwischt, muss ich wohl erklären, dass ich keinen Job habe. Heute ging es zu schnell. Da hab gelogen, war am Einfachsten. Man will das nicht jedem erzählen.

F..k it!

„Man muss es  mir ansehen,“ dachte ich vor vielen Jahren, als ich in Pömps, Blazer und mit leuchtenden Augen zum ersten Mal wieder zur Arbeit fuhr. „Man muss es mir ansehen: hier kommt eine Arbeitnehmerin!“ Schwungvoll steuerte ich das Fahrzeug auf den Parkplatz einer kleinen Werbeagentur, bei der jede Zelle meines Körpers angestellt war. Zehn Jahre Aldi am Vormittag, Spielplatz am Nachmittag, Wäschewaschen, Essenkochen, Kinderhüten – wenigstens stundenweise blieb das hinter der Haustür zurück, die ich von außen geschlossen hatte. Hier war ich: Geld verdienend, ernstzunehmend, welcome back!

Aus dem Mini-Job wurde ein Teilzeit-Job und schließlich Vollzeitarbeit. Es lief gut, ich hangelte mich nach oben und das Geld war ok. Ob sich im Lauf all der Jahre das Arbeiten veränderte oder ich mich, ist schwer zu sagen. Irgendwann fing es jedenfalls an, mich abzuschnüren: die Hektik, die unklaren Erwartungen, der Druck, die Gereiztheit der Chefs. Ich paddelte wie ein Pudel, der in einen Teich geworfen wurde und den man mit einer Stange immer wieder vom Ufer schubst. Da kann man strampeln, wie man will – man geht irgendwann unter.

Heute bummle ich am hellichten Werktag durch die Innenstadt an Schaufenstern und Straßencafes vorbei und denke: „Schaut! Hier kommt eine Aussteigerin!“ Ich habe Nein gesagt zu dem, was mich kaputt macht. Hier bin ich: Frei. Mein Leben gehört mir. Und das mit dem Geld wird schon irgendwie werden, f..k it!

Beschäftigungsverordnung

Der ganze Aufwand für die Katz. Termine, Papierkram, Telefonate: alles, was mit dem Arbeitsamt durchgepflügt wurde – dahin! Die Anträge wurden gelöscht, weil ich ab dem 1. Juni  nicht arbeitslos bin, sondern krank. Ich habe F43. So stehts jedenfalls in der Krankmeldung, die ich heute vom Arzt bekam, F43-irgendwas, man wird ja nach Code-Nummern eingeteilt. Ich kenn mich da nicht aus, in den letzten vier Jahren war ich nur einmal krank, und davor, glaube ich, gar nicht. Und vor davor hatte ich kleine Kinder, da lernt man – krank hin, krank her – weiterzumachen.

Deshalb hielt ich ratlos zwei Krankmeldungen in der Hand. Wieso zwei? Eine für die Krankenkasse, eine für den Arbeitgeber, erläuterte man mir. Aha. Im Moment verbringe ich noch meine letzten Urlaubstage, danach ist mein Brotherr also die Krankenkasse, nicht das Arbeitsamt. Das Arbeitsamt will nur Gesunde, und wenn ich soweit bin, darf ich mich auch wieder arbeitslos melden. Dann geht der ganze Kladderadatsch mit Antragstellung, Terminen, Papierkram, Telefonaten usw. von vorne los.

Gut, dass ich jetzt Zeit habe für sowas.

Perspektiven

Ich hab schon mal geübt, wie es so ist mit dem Leben als Arbeitslose. Ich habe mich länger als nötig in der Bücherei aufgehalten, einfach weil es dort so schön ist: die Regale abschreiten und mir ausmalen, dass ich viel lesen werde demnächst. Mit den Fingern CDs durchkrabbeln und ein Violinkonzert von Mendelssohn herausfischen. Zwischen Büchern und Zeitschriften sitzen im Lesesaal, dort gibt es den besten Cappucino, besser als der  in den Cafes in der Nähe. Und kostet nur einen Euro.

Die letzten Tage in der Firma wollen kein Ende nehmen.

Horch

Wenn im Teekocher unserer Büroküche Wasser heiß wird, klingt das Blubbern, als ob jemand die Treppen hochpoltert. Das erschreckt mich jedes Mal, weil ich denke, der Boss ist auf dem Weg zu uns. Es sollte mir gleichgültig sein, in fünf Wochen bin ich auf freiem Fuß. Die letzten Jahre waschen sich aber nicht ab wie Staub im Frühlingsregen. Im Augenblick stehe ich jedenfalls in der Teeküche und halte die Luft an. Es ist aber nur das Wasser, das Krach macht.

Noch vierundzwanzigmal aufstehen.

Mein Morgengrauen

Die morgendliche E-Mail vom Höllenhund. Was ist es heute? „Listen Sie Lieferanten und ihre Vereinbarungen auf, bin immer wieder überrascht über deren Preisgestaltung.“ Aha. Gestern war mir um die Ohren geschlagen worden, dass ich zu teure Leistungen durchgehn lasse. „Diese Schlamperei muss beendet werden, Vorschläge bitte.“ Guten Morgen, Chef.

Ich hole mir eine Tasse Kaffee, schlurfe zurück zum Schreibtisch und schiebe lustlos Papier hin und her. Dann ein paar Klicks durch den Posteingang. Aufträge werden gegeben, Lieferungen angezeigt, ein paar gute Wünsche zum neuen Jahr. Jedenfalls weiß ich heute beizeiten, was den Tag verderben wird, es sei denn es kommt eine Reklamation. Das hat natürlich Vorrang. Dann brüllt der Chef, man wirtschafte den Laden herunter, und während er geifert, verklebt sein Gehirn. Der Sachbearbeiter wird zum Versager erklärt und das setzt sich fest wie ein Geschwür. Wochenlang. Oder länger.

Für die Arbeit von gutbezahlten Lieferanten hatte ich noch keine Reklamation. Aber halt: Zurück zum Thema. Ich drücke die Preise unserer Lieferanten nicht genug. „Billig müssen sie sein, perfekte Qualität wollen wir, und – keine Reklamationen!“ Als ob ich es in der Hand hätte.

Ich lösche die Mail, gehe im Kopf die Angriffe durch, die es geben wird, schnell noch etwas Baldrian. Ein Tag beginnt.

Facettenreichtum

Am Bürostuhl vorbeifegen und in den Chefsessel plumpsen. Hinter einem mächtigen Schreibtisch. Dort bleiben und herrschen, ein Jahr, zwei Jahre, länger. Wie das wäre, versuche ich mir gerade vorzustellen. Ich sitze neben dem Azubi, der immer noch nach der richtigen Datei sucht. „Nicht da,“ flüstere ich heiser und zeige auf den Bildschirm, „das ist der falsche Ordner, der drüber …“ An einer Stelle hinter meinem Magen zupft etwas wie ein Kätzchen, das raus will. Ein Eilauftrag röhrt nach Bearbeitung, ich will nicht hier sitzen und warten auf den entscheidenden Klick.

Der Junge ist 18. Arbeitet bei uns seit ein paar Wochen, die erste Stelle, intelligent ist er. Wühlt nicht so flink in den Verzeichnissen wie ich, ansonsten: Denkt mit. Hat Ideen. Und alles, was  mir dazu einfällt ist, an meinen verhakten Fingern zu zerren, weil er eine Anweisung missversteht und durch die Ordnerstrukturen irrt.

Wenn jetzt niemand da wäre, mich zu bremsen. Wenn niemand es wagen würde, sich zu äußern. Kein Kollege die Stirn runzelte vor mir. Wenn es in der Firma die normalen Hindernisse  gäbe in Form eines Menschen und mich: gehüllt in Macht, zerrupft durch Überlastung, Profitsorgen, Verantwortung. Dazwischen nur mein moralischer Anspruch an mich selbst, mein Charakter. Hier werde ich unsicher. Welche Facetten würden wohl nach oben gespült?

Das Richtige

In einem langen schmalen Raum, in den wenig Licht von der Straße fällt, stehe ich hinter einem Tresen und betrachte die Regale an der Wand. Sieht alles gut aus. Keramik mit geometrischen Mustern zeichnet sich im Halbdunkel ab, Holzschnitzereien flüstern von ihren Geheimnissen,  bunter Schmuck wartet auf lachende Mädchen und Frauen. Ich räume die übrige Ware weg und ordne Papierblumen in einer Vase. Aus der Küche dringen aufregende Düfte, die Imbiss-Ecke füllt sich mit Menschen, sie arbeiten in der Nähe. Mittagspause. Ich ziehe einen bedruckten Schal vom Haken und zeige ihn einem Kunden. Was für ein Leben wäre das! „Aushilfe gesucht in Afrika-Shop“. Beim Durchblättern der Stellenanzeigen stieß ich darauf, ein Traum, wenn ich von 400 EUR leben könnte. Und so bleibt es einer.

„Werden Sie erfolgreich mit uns. Mitarbeiter/in gesucht im Marketing / Event-Management.“ Aus meiner Zeit als Arbeitslose vor etwa zwei Jahren erinnere ich mich noch, wie viele Einladungen zu Vorstellungsgesprächen man – trotz Erfahrung – in meinem Alter bekommt. Speziell bei dieser Art von Jobs. Ich blättere weiter.

„Für sofort oder später: Mitarbeiter/in im redaktionellen Bereich.“ Das könnte was sein. Zählt ein Blog als Referenz? „Richtige“ Tätigkeiten als Redakteurin sind lange her. Früher hätte ich mir das auf jeden Fall zugetraut. Heute nicht mehr. Heute weiß ich viel besser, was ich alles nicht kann.

Also lebe ich weiter mit meinen Fantasien vom entspannteren Leben. Von netten Leuten bei der Arbeit und Aufgaben, die zu bewältigen sind. Das Richtige wird kommen im neuen Jahr. Und wenn ich Marmelade koche und bei Ebay verscherble. Dann muss es eben viel Marmelade sein. Das Richtige wird kommen.

Es war einmal eine ganz Schlaue

Wenn man glaubt, es läuft alles rund, dann kommt eine Reklamation. Das hat der liebe Gott so eingerichtet, damit das Menschlein bescheiden bleibt. Wenn man glaubt, man sei schlau, dann sagt der Kunde: „Wir müssen Ihnen leider mitteilen …“ Schade, wenn der Chef dann nicht hinter einem steht, aber er darf sich gerne jemanden suchen, der noch viel schlauer ist.

Was mich wirklich ärgert ist, dass ich diesen Mist um halb sechs in die Schublade meines Schreibtischs schließe – und er bleibt nicht drin. Stattdessen begleitet er mich getreulich nach Hause: „Habe ich nicht sorgfältig gearbeitet? Warum hat der Chef nicht zugehört? War es überhaupt unser Fehler?“ Mies gelaunt stoße ich die Wohnungstür auf, gedankenverloren überhöre ich, was mein Liebster zu sagen hat, und in der Nacht träume ich von schreienden Sprachpaaren. Unerholt kehre ich am nächsten Morgen zurück und warte auf den nächsten Kläffer.

Vage erinnere ich mich, früher um fünf den Bleistift fallen gelassen zu haben, und zwar auch im Kopf. Das ist lange her. Bevor Computer erfunden wurden wahrscheinlich, da hatte man noch mehr Zeit für weniger Aufgaben. Weniger Reklamationen hatte man auch. Glaub ich jedenfalls.

Betrachtungswinkel

„Ich geh jedenfalls gern zur Arbeit“, versicherte kürzlich jemand. „Einen enormen Brocken haben wir an Land geholt, es rumpelt in der Kiste, wir bringen was voran.“ Gerne zur Arbeit gehen … immer wieder frage ich mich, ob die Zustände an meinem eigenen Arbeitsplatz diesen Unmut in mir auslösen, oder ob ich es selbst bin. Einen hektischen Beruf hat derjenige, der da gerne zur Arbeit geht, ja auch. Aber er redet über das, was gelungen ist und ich dachte immer: ihm gelingt eben alles. Vielleicht ist es aber auch so, dass in seinem Bewusstsein nur Siege Erlaubnis zum Auftauchen haben, und nicht wie bei mir alles andere.

Mein Job ist mein Leben

„Ist es nicht schön?“ ruft die Abteilungsleiterin und genießt den Blick in die Runde. Zwanzig Leute sitzen in einem ungemütlichen Besprechungsraum um einen Tisch herum. Sachbearbeiter, Sekretärinnen, BA-Studenten und Aushilfskräfte beugen sich über Teller mit geschmelzten Maultaschen, der Cateringservice lässt sie jetzt allein. Vollversammlung im Vertrieb. Der Nachmittag steht an mit Entwicklungen, Ausblicken, Zahlendatenfakten.

Das Haar der Abteilungsleiterin ist zu einem borstigen Dutt geknotet, was nichts Gutes verheißt. „Zeig mir deine Frisur, und ich sag dir, wie du  drauf bist“, wird gelegentlich über sie gespottet, wenn Angst und der tägliche Überdruss die Lust am Spotten noch zulässt. Beim Dutt ist Vorsicht geboten. Ein paar Köpfe schauen daher vom Teller auf, zweifelnd. Hat sie das eben gesagt? Tatsächlich. Da vorne sitzt sie, beim Flipchart, aufgeräumt und voller Leben. „Ist es nicht schön?“ ruft sie, „wir alle zusammen an einem Tisch? Das ist ja wie in einer Familie!“

Die sich den Wolf managt

Der Inhaber einer Firma schielt vor allem auf eins – aufs Geld. Schließlich hat alles, was im Unternehmen geschieht oder auch nicht, etwas mit der Zahl auf seinem Bankkonto zu tun.  Der Angestellte dagegen will seinen Job nicht verlieren. Er schuftet deshalb wie ein Pferd, und jeder meint, das Richtige im Auge zu haben. Dennoch können Chef- Entscheidungen dazu führen, dass Mitarbeiter im Innern kündigen, und Mitarbeiter können sich wie wild durch ihr Pensum wühlen , aber es fällt kein Gold ins Firmensäckel. In beiden Fällen ging der Blick auf das Ganze verloren, und ich verlor ihn während der letzten Wochen.

Da wuchsen der Zeitdruck und die Arbeitsberge ins Gewaltige, und ich verbiss mich in deren Abwicklung. Dass die Anforderungen eines meiner Kunden immer komplexer, ihre Bearbeitung immer aufwendiger wurde, dass etwas nicht stimmte – das schmerzte nur im Bauch. Im Kopf jagten sich die enorme Orderflut, schwierige Abläufe und Techniken, es dennoch zu schaffen. Dazwischen verbarrikadierte eine Wand aus Verkrampfungen jeden Austausch.

Dann kam der Chef zurück von einer Reise. Ich hatte Angst vor seinen Attacken und dass er merken würde, was mir selbst nicht klar war. Doch er – hörte mir zu. Fragte nach, erfasste das Wichtige und statuierte: Die Projekte dieses Kunden rentieren sich nicht. Er wird deshalb die Preise neu verhandeln und erst danach sind weitere Aufträge anzunehmen. Kollegen haben mich dann zu unterstützen. Was mich aber umwarf und was nie zuvor geschehen war: Er lächelte wie eine Mutter und sagte: „Beruhige dich. Der Schlamassel hat jetzt ein Ende.“ Es war, als legte sich eine weiche Decke um meine zitternden Nerven, und dieser Moment prägte sich tief ein.

In den Ring steigen …

… drei junge Männer.

Einer davon ist mein jüngster Sohn, er hat seine Schulzeit abgeschlossen. Heute beginnt er als Fahrer in einem Zentrum für körperbehinderte Menschen den Zivildienst. Ich bin so gespannt, wen und was er kennen lernen wird, welche Impulse ihn bereichern werden und ich freue mich schon jetzt auf die Gespräche mit ihm.

Zurück in die Normalität kehrt mein mittlerer Sohn. 15 Monate nach dem schweren Verkehrsunfall ist er wieder gesund genug fürs Arbeitsleben. Da er seinen früheren Beruf nicht mehr ausüben kann – er setzt körperliche Belastbarkeit voraus – startet heute eine zweite Ausbildung im kaufmännischen Bereich. Jeden Tag danke ich Gott, dass es so sein darf.

Schließlich steht auch der Sohn meines Lebenspartners vor einem neuen Anfang. Nach Universität und halbjährigem Armee-Einsatz in Afghanistan steht er vor dem ersten Arbeitstag in seinem Leben, zumindest im zivilen. In einem großen Warenhaus in Newcastle beginnt seine Tätigkeit als Management Trainee.

Soviele Ziele, soviele Hoffnungen, soviele Erwartungen wohl auch. Spannung steckt in allen dreien, eine Menge Energie und ganz viel Jungsein. Was sie sich vorgenommen haben, möge ihnen gelingen.

Abgeschieden

Bei der wöchentlichen Mitarbeiterbesprechung fällt mir etwas auf. Es sind die Gesichter der Kollegen: es ist, als tragen sie Tauchanzüge. Unsichtbare Tauchanzüge, die eng am Kopf anliegen und ihre Gesichter einquetschen, sie gar ein wenig hervortreten lassen, so scheint es. Angestrengt sitzen sie da mit starren  Oberkörpern, während der unbeherrschte Firmenchef uns gerade wieder anbellt wie ein aufgescheuchter Hofhund.

Ich lächle in mich hinein. Nach der Versammlung greife ich gutgelaunt nach dem Notizblock, verlasse den Raum, steige die Treppe hinunter, schlendere den Gang entlang. Dann trete ich in den Eingangsbereich und – hinaus auf den Vorplatz. Ich schaue zum Himmel und atme ein, tief. Ein Blick zum Storchennest: Niemand zu Hause.  Sie besuchen jetzt immer die Wiese weiter vorne. Ein paar Kollegen gehen vor mir her, sie tragen keine Tauchanzüge, nur die Zurückgebliebenen. Gott hat meine Gebete erhört, seit ein paar Tagen befindet sich mein Büro auf der anderen Straßenseite. Jeder Schritt in die Abgeschiedenheit des Nebengebäudes vergrößert die Distanz. Zwar hat der Terror Beine und sucht uns gelegentlich heim, aber doch nicht den ganzen Tag. Hier ist gut sein.